Siebenter Stolperstein: Demonstrationspause über Weihnachten und Neujahr 1989/90
1989 war das erste Jahr der SED-Herrschaft, in dem diese sehnlichst auf das christliche Weihnachtsfest der Ruhe und Besinnung wartete. Endlich Ruhe vor den Demonstranten und deren unablässigem Druck auf den Partei- und Staatsapparat. Endlich eine Verschnaufpause, die zum Aufholen wie ein Geschenk des Himmels daher kam. Endlich Lufthoheit für den medialen Gegenschlag! Der mittels der Gespenster des westdeutschen Faschismus, Militarismus und Revanchismus mit dem vorläufigen Einschlafen der DDR-weiten Demonstrationen aus der Stasi-Trickkiste gezaubert wurde. Mehr dazu in der achten Falle dieser SED/MfS-Perlenkette.
Kaum installiert, versagte dann der Leipziger Runde Tisch auf ganzer Linie. Unter dem Druck des Moderators des Runden Tisches, der für den Fall der Weiterführung der Demonstrationen und der Kundgebungen seine weitere Mitwirkung aufkündigte, beschloss der Runde Tisch Leipzig am 18.12. 1989 eine zweiwöchige Weihnachtspause der Demonstrationen mit dem gleichzeitigen völligen Ende der Kundgebungen
Friedrich Magirius beklagte bereits geraume Zeit eine angebliche Radikalisierung und starke aufkommende rechte Tendenzen im Klima der wöchentlichen Demonstrationen. Besonders kritisch sah er die inzwischen obligatorischen tendenziell pro-Einheit gehenden Kundgebungen vor den Demonstrationen um den Leipziger Ring. Die Kundgebungsredner sollten das dämpfen, aber nicht noch den Drang zur Wiedervereinigung ankurbeln! Er überzeugte sogar nochmals am 2. Januar 1990 den Runden Tisch in Leipzig, auf die Kundgebungen künftig zu verzichten. Was die Demonstrationen zum Erliegen gebracht hätte. Spätestens mit diesem Beschluss stand der Runde Tisch in Leipzig im falschen Film und verlor entscheidend an Achtung.
Gelang die SED-Strategie mit dem Aufruf zur Besonnenheit und die Verlockungen mit den Dialogen bisher nicht, so fielen jetzt die Vertreter der Bürgerrechtsbewegung am Runden Tisch Leipzig selbst auf die SED rein. Die ab Januar 1990 wieder auflebenden Demonstrationen wären nämlich ohne die gewohnten Kundgebungen regelrecht verhungert. Die Leute wären nicht mehr gekommen, hätten keinen Druck mehr gemacht. Dabei war es doch so, dass die Demonstrationen unbedingt bis zu den Volkskammerwahlen weitergehen mussten. Erst die Wahlen würden Sicherheit über den nächsten Weg bringen. Um die Demonstrationen am Leben zu erhalten, mussten die Kundgebungen deshalb unbedingt wieder aufgenommen werden.
Am 10. Januar 1990 versuchte Magirius die Koordinatoren und ständigen Redner vom Beschluss des Runden Tisches Leipzig zu überzeugen. Natürlich völlig chancenlos! Geladen hatte er den Polizeichef, Jochen Lässig/NF, Thomas Rudolph/IFM, Gunter Weißgerber/SDP und Gudrun Neumann als Koordinatorin der Kundgebungen.
Die Argumentation Magirius’ war so schlicht wie fadenscheinig. Die Demonstrationen entglitten zu nationalistischen Randalen und würden die öffentliche Sicherheit (drei Monate nach derselben Argumentation seitens der SED gegenüber den Montagsdemonstrationen!) und die Reformierung der DDR gefährden. Auf Seiten seiner demonstrationsfreudigen Gäste wurde dies alles als irrelevant und maßlos überzogen abgelehnt. Stattdessen wurde mit dem massiv vorhandenen Bevölkerungswillen zu weiteren Demonstrationen, weiteren Veränderungen und der freien Entscheidung in den kommenden freien Wahlen über den weiteren Weg argumentiert. Würden die Demonstrationen nicht weitergehen, würden noch viel mehr Menschen den Weg nach Westdeutschland wählen. Das Volk in seiner Mehrheit saß innerlich auf gepackten Koffern. Die Demonstrationen würden aber mit absoluter Sicherheit nur weitergehen, wenn weiterhin politische Kundgebungen vorgeschaltet blieben. Die Menschen wollten frei wählen und wollten wissen, wer die neuen Kräfte repräsentiert und vor allem, was deren politische Vorstellungen sind. Magirius musste unseren Willen zu Kundgebungen und Demonstrationen zur Kenntnis nehmen. Wir lehnten Magirius’ Ansinnen höflich aber deutlich ab. Im Anschluss entstand diese Pressemitteilung:
Es gelang und die vielen Menschen kamen bis zum letzten Montag vor der Wahl immer wieder. Die SED und ihr Apparat hatten erneut Pech. Die montägliche Schlafpause auf den Straßen und Plätzen der DDR wurde beendet und die Demonstrationen gegen die SED-Restaurationsanstrengungen, zur Unterstützung des demokratischen Kräfte an den Runden Tischen und für ein Wahlergebnis, welches den Freiheitsgewinn unumkehrbar machen würde, nahmen ihren Gang.