Das innovative Potential in der Institution Bauhaus

Der Mythos Bauhaus wirkt weiter. (1) Doch auch 100 Jahre nach seiner Gründung stehen widersprüchliche Sichtweisen einander gegenüber. Einerseits werden die aus den neuen künstlerischen Arbeitsformen entstandenen Artefakte der Bauhausmoderne gefeiert. Andererseits ist der Gründungsdirektor Walter Gropius das Ziel von Angriffen: er sei in zu starkem Maße mit einem auf ihn selbst konzentrierten Bild für sein Projekt eingetreten, sei aber mit den Architekturexperimenten gescheitert. Man hielt ihm vor, dass er zum Zeichnen einen Mitarbeiter benötigte und zudem keinen ›ordentlichen Abschluss‹ als Architekt vorweisen konnte. Diese Einwände sind intellektuell schlicht. Sie gehen von einer Berufskonvention ›des Architekten‹ und unreflektierten Vorstellungen ›vom Künstler‹ aus. Damit erfassen sie in keiner Weise den innovativen Anteil, der Walter Gropius an der Programmatik des Bauhauses als einer neuartigen Kunst- und Gestaltungshochschule zukommt.

Demgegenüber muss eine kulturgeschichtliche Perspektive auch nach den strukturellen Gründen für die heute wieder neu wahrgenommene Produktivität des Bauhauses fragen. Das Konzept von Gropius beinhaltete eine neue Integrationsform von künstlerischen Kompetenzen, die die Spaltung in ›hohe Kunst‹ und ›nützliche‹ Künste überwölbte, wie sie im 19. Jahrhundert entstanden war.

Der in seinem Studienprogramm angelegte neuartige Künstlerhabitus des ›KünstlerGestalters‹ war Ergebnis einer Synthese von modernistischer Kunst und handwerklich fundierter Gestaltungsarbeit.(2) Um die Bedeutung dieser Innovation zu verstehen, ist es notwendig, sich den historischen Ort der Bauhausgründung in der Geschichte der künstlerischen Arbeit zu verdeutlichen.

Die Hierarchie im Künstlerhabitus überwinden

Bereits mit dem Beginn der ›modernen Bewegung‹ 1896 sollte ein neues, ganzheitliches Kunstverständnis angestrebt werden. Deren führende Protagonisten, wie Peter Behrens oder Richard Riemerschmid, hatten als Absolventen von Kunstakademien bald gleichermaßen in den Medien Architektur (z.B. Behrens AEG-Gebäude Berlin, Riemerschmid Münchner Kammerspiele), in der Gestaltung von Alltagsdingen, Industrieprodukten oder der Grafik als ›angewandte Künstler‹ reüssiert. Hierzu war kein spezifischer Berufsabschluss ›als Architekt‹ erforderlich.

Mit der Revolution im November 1918 und dem Zusammenbruch der symbolischen Ordnung des Kaiserreiches entstand eine günstige Konstellation auch für einen kulturellen Aufbruch. Die politische Vision einer ›Neuen Zeit‹ war in der Arbeiterbewegung mit der Erfahrungen der industriellen und gesellschaftlichen Modernisierungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. Sie schloss die Bildungsutopie einer Teilhabe aller am ästhetischen Genuss ein.

In der Revolutionsbewegung bildeten sich schnell regionale Künstlerräte, in denen primär diskutiert wurde, was die demokratische Gleichheitsforderung auch für die Entfaltungschancen von Kreativität in den unterschiedlichen künstlerischen Professionen und die Hierarchie der Künstlerausbildung bedeuten könnte. Blicken wir zunächst auf Weimar.

Die Neuformulierung des Künstlerhabitus durch Gropius

Gropius agierte 1919 im Kontext der linken und liberalen Teile der Öffentlichkeit, die auf ein emanzipatorisches Weltbild vertrauten. Dies ermöglichte es ihm, trotz aller Fliehkräfte der unterschiedlichen Personen, eine völlig neue Kunsthochschule einzurichten. Unter seiner Leitung entwickelte sich dieses Pionierprojekt zu einem der kreativsten Produktionsorte von ästhetischer Modernität.

Auf welches ›geistige Rüstzeug‹ konnte sich Gropius dabei stützen? Er agierte mit dem Habitus einer selbstbewussten Bürgerlichkeit, die anders gerichtete Mitakteure einbezog. Erste Fähigkeiten in der praktischen Gestaltungsarbeit hatte er im Entwurfsbüro von Peter Behrens erworben. Die Verbindung von Kunst und Leben der ›modernen Bewegung‹ hatte er während eines kurzen Studienaufenthalts 1903 in München kennengelernt. Diese Zielvorstellung wirkte in ihm weiter und ging schließlich in das Bauhausprojekt ein. Gropius hatte sich zudem seit 1910 an den Theoriedebatten des Werkbunds beteiligt, die Antworten auf die Herausforderungen der Industrialisierung und Urbanisierung für die Gestaltung thematisierten.

Als er im April 1919 mit der Position des Gründungsdirektors der neuen Institution betraut wurde, musste er die akademischen Professoren der bisherigen Weimarer Kunsthochschule übernehmen, die überwiegend impressionistische Kunstauffassungen vertraten. Diese wandten sich bereits im ersten Jahr wieder vom integrativen Konzept ab, als sie die Konsequenzen für ihren konventionellen Künstlerhabitus erkannten und bildeten erneut eine konventionelle Kunstakademie.

Demgegenüber setzte der neue Direktor markante Zeichen für die zentrale Bedeutung der avantgardistischen Kunst für sein Konzept des zukünftigen Künstlergestalters: er berief den Kubisten Lyonell Feiniger sowie den in Wien bereits lehrenden Expressionisten Johannes Itten für den Grundkurs. 1920 folgte Paul Klee. Im Meisterrat wurde ein kollegiales Beratungsgremium der Lehrenden geschaffen. Die Zusammenarbeit von Handwerkern als Werkmeister und Künstlern als Formmeister, unter Aufgabe des Titels Professor für einige Jahre, symbolisierte die Abgrenzung von den Hierarchieritualen der Kunstakademien. Mit Wassily Kandinsky, der seit Ausbruch des Ersten Weltkrieges wieder in Russland lebte, hatte es während dessen Beteiligung an der Neueinrichtung von künstlerischen Institutionen für den Kunstsektor der frühen Sowjetunion Kontakte gegeben. Nach dessen Rückkehr nach Deutschland übernahm auch dieser Maler ab 1922 Theorieunterricht für die zukünftigen KünstlerGestalter. Der auf Experimente mit technischen Mitteln spezialisierte Laszlo Moholy-Nagy arbeitete bald an einer neuen Ästhetik von Licht und Schatten.

Die Funktionalität des industriellen Modernisierungsschubs der zwanziger Jahre ging 1922/23 in die programmatische Formel einer Verbindung von ›Kunst und Technik‹ des Direktors Gropius ein. In den Kunstakademien galt Technik dagegen weiterhin als unvereinbar mit Kunst. Eine eigene Architekturabteilung differenzierte Gropius bekanntlich erst 1927 aus. Der häufig zitierte Satz aus dem Bauhausmanifest ›Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau!‹ muss daher auch metaphorisch verstanden werden. Mit dem Bild einer ›Kathedrale‹ wurde in dieser Künstlerszene eine Gemeinschaft von kreativen Individuen unterschiedlicher Professionen assoziiert, die sich zum Aufbau ›der Zukunft‹ versammelten. Erprobt wurde diese Arbeitsweise für die erste Bauhausausstellung 1923 im Haus am Horn, dessen Architekturkonzept Georg Muche entlang des Bedarfs einer Familie mit Kindern entwickeln konnte. Gropius zog sich 1928 zurück. Hannes Meyer folgte ihm bis 1930 als Direktor, der die Institution mit dem Programm ›Volksbedarf statt Luxusbedarf‹ neu an den Zielen der Arbeiterbewegung zur Verbesserung der materiellen Lebenswelt der Arbeiter ausrichtete.

Regional unterschiedliche Chancen zur Reform

Die Bedeutung des Konzeptes von Gropius wird im Vergleich plastischer. Die große Mehrheit unter den Kunstprofessoren der deutschen Kunstakademien blieb bis in die 1950er Jahre am Akademismus der ›hohen Kunst‹ orientiert. Auch in München entwickelte der bedeutende, gemäßigt moderne Jugendstilkünstler Riemerschmid aus den Debatten des Künstlerrates heraus ein Konzept für die Integration der Münchner Kunstakademie und der Kunstgewerbeschule. Nach dem Sieg der Gegenrevolution im Mai 1919 war diese Reform vom Tisch, da sich das kulturpolitische Klima nach rechts verschob. Während der ganzen zwanziger Jahre wurde vom kulturkonservativen Professorenkollegium der Münchner Kunstakademie kein einziger modernistischer Künstler berufen, weshalb 1933 niemand als ›entartet‹ zu entlassen war. In Berlin hatte der Arbeitsrat für Kunst den Reformdiskurs begonnen. Hier waren Bruno Taut, Otto Bartning und Adolf Behne führende Visionäre, bis Gropius am 1. März 1919 den Vorsitz übernahm und – gestützt auf diese Vorschläge – sein Bauhausmanifest formulierte, damit jedoch nach Weimar ging. Denn auch in Berlin erwiesen sich die Beharrungskräfte des Traditionalismus als zu stark. Erst 1924 gelang es im Zuge der sozialdemokratisch-liberalen Kulturpolitik in Preußen mit den ›Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst‹ eine Reformhochschule zu gründen, an der bis 1933 auch gemäßigt moderne Künstler wie Karl Hofer oder César Klein lehren konnten.

Ohne Gropius, dessen Denkhorizont, seine Verbindung der Experimentierlust von modernistischen Künstlern und qualifizierten Handwerkern im Künstlerhabitus hätte es kein derartig wirkungsmächtiges Bauhaus gegeben. Maler wie Itten, Feininger, Klee, Kandinsky oder Schlemmer brachten ihre künstlerische Kompetenz in die ästhetische Innovation im kollektiven Kommunikationsprozess des Bauhauses ein. Die Zusammenarbeit der radikalen Modernisten als Formmeister und der qualifizierten Handwerker als Werkmeister im Lehrbetrieb der Werkstätten entwickelte diese produktive Spannung für innovative Kreativität. Lehrende und Studierende begegneten sich als Gemeinschaft von künstlerisch-experimentellen Individuen. Dies ist der Hauptgrund für die gefeierte Produktivität des Bauhauses.

 

Anmerkungen:

1 Diesem Text liegt das Kapitel »›Die Bauhäusler‹: Im Laboratorium der Moderne«, in Wolfgang Ruppert: Künstler! Kreativität zwischen Mythos, Habitus und Profession, Vandenhoek &Ruprecht Verlage/ Böhlau, Wien Köln Weimar 2018 zugrunde. Er erschien in einer erweiterten Fassung in »Henselmann 2019 – 1. Zeitschrift für Stadtpolitik«. Dort Literaturhinweise. Ferner in taz vom 30.7. 2019, S.15
2 Zum Begriff Wolfgang Ruppert: ›KünstlerGestalter‹. Widersprüche im Künstlerhabitus am Bauhaus, in Sabine Fastert u.a.(Hg): Die Wiederkehr des Künstlers. Themen und Positionen der aktuellen Künstler/Innenforschung, Köln/Weimar/Wien 2011, S. 175-192
 

Über den Autor

Wolfgang Ruppert studierte Geschichte, Germanistik, Politologie und Kunstgeschichte an der Universität München. Von 1978 bis 1981 konzipierte und entwickelte er das Museumsprojekt „Industriekultur in Nürnberg“. Von 1981 bis 1983 arbeitete er als freier Autor und Filmemacher für das Fernsehen, an Buchprojekten und an einem Gutachten für den Senator für Wissenschaft und Forschung Berlin. Von 1983 bis 1988 lehrte er Kulturgeschichte im Studiengang Geschichtswissenschaft der Universität Bielefeld. Von 2003 bis 2005 war er geschäftsführender Direktor des Instituts für Theorie und Praxis der Kommunikation der Universität der Künste Berlin. 2005 wurde er von der Enquete Kommission des Deutschen Bundestages zur Kultur in Deutschland als Experte für Fragen im Zusammenhang mit dem modernen Künstler einbezogen. Seit 1988 Professor für Kultur- und Politikgeschichte an der Universität der Künste Berlin, jetzt Forschungsprofessor
Publikationen u.a. zur Industriekultur, zur Geschichte der Dinge und zur Geschichte des Künstlers:
Der moderne Künstler. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der kreativen Individualität in der kulturellen Moderne im 19.und frühen 20. Jahrhundert, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1. Aufl. 1998, 2. Aufl. 2000 und 3. Aufl. 2017.
Wolfgang Ruppert/ Christian Fuhrmeister (Hrsg.): Zwischen Deutscher Kunst und internationaler Modernität. Formen der Künstlerausbildung 1918 bis 1968, VDG: Weimar 2008.
Wolfgang Ruppert (HG): Künstler Im Nationalsozialismus. Die "Deutsche Kunst", die Kunstpolitik und die Berliner Kunsthochschule, Wien Köln Weimar 2015.
 
aktuelles Buch: Künstler! Kreativität zwischen Mythos, Habitus und Profession, Wien Köln Weimar 2018.
Wolfgang Ruppert
 

Professor für Kultur- und
Politikgeschichte,
Berlin

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