Selbstbegrenzung nach außen - Selbstbehauptung nach innen
- Geschrieben von Heinz Theisen
Eine globale Weltordnung ist utopisch. Wir brauchen eine Multipolarität der Weltmächte. Und die Europäische Union muss darin ihre neue Rolle finden.
Überdehnungen und Verstrickungen des Westens in fremde Händel haben unsere Kräfte geschwächt. Im Gegenzug ist etwa der russische Nationalismus und vor allem der islamistische Universalismus erstarkt. Mit dem umgekehrten, nach innen gerichteten Universalismus von ›offenen Grenzen‹ wurden unterschiedslos flüchtenden Opfern und islamistischen Tätern Wege nach Europa geebnet.
Das Paradoxon der Gewaltbegrenzung
- Geschrieben von Johannes Eisleben
»Homo homini lupus«, schreibt Hobbes in De Cive (1657). Damit meint er, in heutiger Sprache ausgedrückt, dass Gewalt und Macht (das Ergebnis erfolgreicher Gewaltausübung) immer eine zentrale Rolle bei der menschlichen Vergesellschaftung spielen. Wie Aggression und Neigung zur Gewalt im Zusammenleben begrenzt werden können, ist das zentrale Thema der politischen Philosophie. Einerseits brauchen wir das staatliche Gewaltmonopol, um chaotische, private Gewalt zu minimieren. Andererseits tendieren die Amtsträger, die das Monopol ausüben, stets dazu, diese gewaltige Macht, deren Breite und Tiefe mit dem technischen Fortschritt immer weiter zunimmt, zu ihren Gunsten zu verwenden. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie das Monopol im Rahmen einer Dynastie, einer Wahlmonarchie, als kommunistische Diktatoren wie in der UdSSR oder (noch heute) in China oder als auf Zeit gewählte Inhaber der Exekutivgewalt demokratischer Staaten innehaben: Die Tendenz zum Missbrauch der Macht ist im Wesen des Menschen verwurzelt und daher immer vorhanden.
Selbstbegrenzung nach außen und Selbstbehauptung nach innen
- Geschrieben von Werner Bruns
Heinz Theisen: Der Westen und die neue Weltordnung, Stuttgart (Kohlhammer) 2017
Der Autor legt mit seinem neuesten Werk eine brillante Analyse der sich abzeichnenden Veränderungen der Weltordnung vor und zeigt Ansätze auf, die aus der daraus resultierenden, teilweise selbstverschuldeten, Krise des Westens führen könnten. Nach dem Ende des Kalten Krieges erschienen die westlichen Demokratien als Sieger eines Wettbewerbs der Systeme. Der »Westen« ist mittlerweile nur noch – wie wir wissen – ein wichtiger politischer Player neben vielen anderen Akteuren, die auch noch in Ihrer Interessenlage recht unterschiedlich aufgestellt sind und eine unübersichtliche Lage erzeugen. Hier setzt der Autor an: Während der Westen zunehmend durch politische »Überdehnungen« an Einfluss verliere...
Die Evangelien ändern sich nicht! Gespräch mit Xavier Tilliette
- Geschrieben von Steffen Dietzsch
Wenn eine Philosophie vollständig ist und systematisch, muss sie auch das Politische einschließen. Ich würde nur sagen, ich sehe keinen Unterschied zwischen dieser politischen Philosophie und den großen Grundsätzen eines vernünftigen Lebens im Sinne des Christentums. Christliche Philosophie, wie ich sie verstehe, ist ein vollständiges Aufnehmen des Evangeliums, und das ist vor allem eine Anrede, ein Anruf an das Individuum, und in diesem Sinne finden sich hier Normen für die Gesellschaft. Wie Sie wissen, orientieren wir im Unterschied etwa zum Islam mehr und mehr auf die freie Initiative der Bürger, auf die großen Grundsätze der Achtung vor dem menschlichen Leben, auf Eintracht und auf die friedliche Lösung der Konflikte.
Sündenbock Treuhand
- Geschrieben von Richard Schröder
Beim Institut für Zeitgeschichte (IfZ) ist ein Projekt »Die Geschichte der Treuhandanstalt« angesiedelt. Anhand der Treuhandakten, die seit einigen Jahren kontinuierlich in das Bundesarchiv zur Einsicht für jedermann überführt werden, forschen elf Wissenschaftler jeweils über Teilaspekte der Treuhandarbeit. Das Projekt ist auf vier Jahre angelegt. Zur Halbzeit fand am 31.1./1.2. 2019 das erste wissenschaftliche Symposion zur Treuhand statt, auf dem erste Forschungsergebnisse vorgestellt wurden. Das öffentliche Interesse tendierte gegen Null. Lediglich zwei Journalisten haben an der Veranstaltung teilgenommen. Das steht in einem schwer erklärlichen Kontrast zu der Tatsache, dass seit etwa einem Vierteljahr die öffentliche Aufregung über die Arbeit der Treuhand enorm angeschwollen ist. Petra Köpping behauptet in ihrem Buch Integriert erst einmal uns (2018), die Treuhand habe die (geheime) Aufgabe gehabt, die westdeutsche Wirtschaft vor der ostdeutschen Konkurrenz durch Plattmachen zu schützen. Franziska Augstein will entdeckt haben, dass das Wüten der Treuhand in Ostdeutschland schuld sei an ostdeutschem Rechtsextremismus.
Zum Tode von Xavier Tilliette SJ
- Geschrieben von Steffen Dietzsch
Xavier Tilliette bleibt uns als ein ironischer Connaisseur in Erinnerung; wenn wir jetzt wieder Jean Wahl, Vladimir Jankélévitch oder Merleau-Ponty lesen, hören wir – als Subtext – immer auch seine Anekdoten dazu. Wenn wir ihn in den letzten Jahren im ›Maison des Petites Sœurs des Pauvres‹ in Paris besuchten, erlebten wir einen gerade im Leiden vornehmen, starken, spirituellen Menschen, der für uns Philosophie-als-Gestalt war.
Kaisersturz. Vom Scheitern im Herzen der Macht 1918
- Geschrieben von Peter Brandt
Lothar Machtan: Kaisersturz. Vom Scheitern im Herzen der Macht 1918, Darmstadt (WBG Theiss) 2018, 352 Seiten
Sigmar Gabriel hat uns daran erinnert, dass auch für sicher Gehaltenes, hier in der Beschwörungsformel: »Bonn« bzw. »Berlin ist nicht Weimar«, infrage gestellt werden kann durch die reale Entwicklung und dann auch in der Wahrnehmung infrage gestellt werden muss. Es ist nicht schwer, die wesentlich günstigeren Bedingungen für das Gedeihen einer parlamentarischen Demokratie in der Bundesrepublik gegenüber der Weimarer Republik zu benennen: von der schlichten Unleugbarkeit der militärischen Niederlage 1945, die einer massenwirksamen Dolchstoßlegende keinen Platz bot, bis zur – auch international – unvergleichlich stärker prosperierenden Wirtschaft. Aber es können, wie wir gesehen haben, neue Tendenzen wirksam werden mit neuen destruktiven Folgen.
Die ungleichen Gleichen – Die Dioskuren Marx und Nietzsche
- Geschrieben von Steffen Dietzsch
Dass sich deutsche Sozialisten/Marxisten von allem Anfang an mit Nietzsche beschäftigten, ist lange bekannt. Darauf haben Vivetta Vivarelli und Ernst Behler schon mit dokumentarischen Berichten (1984) hingewiesen. – Da wurde Nietzsche sogar von dem vehementen Nietzschekritiker Franz Mehring eine (im Vergleich zu Schopenhauer) viel interessantere philosophische Nähe zu Hegel zugestanden, die es schließlich gestatten wird, ihn dann auch dem Denkkreis von Marx anzunähern. Auch wäre hierbei zumindest eine politische Gemeinsamkeit auszumachen, so Mehring, nämlich die tiefe Kritik beider Antipoden am preußisch-deutschen Nationalismus, der wiederum in Eduard von Hartmann seinen zeitgemäßen Philosophen hatte, der seinerseits von Marx wie Nietzsche gleichermaßen kritisiert wurde.
Nur das Ende bleibt stärker. Gespräch über Gedichte
Ulrich Schödlbauer im Gespräch mit Renate Solbach
Der Übermensch faszinierte, weil er sich als Zusammenfassung französischer Nachkriegsschlager anbot, von Camus’ Mensch in der Revolte bis zum maoistisch geprägten Kulturrevolutionär, und sie in einem Punkte überbot: dem der Selbstgenügsamkeit. Der selbstgenügsame Übermensch genügt vor allem den Erwartungen seiner Ausbeuter, seiner Gedanken-Expropriateure: er ist Ziel und Überstieg der Geschichte, der Erwartete und die Auslöschung der Erwartung, er ist Prozess, Produkt und Beginn, das Plötzliche und die Dauer, mit Musil ließe sich sagen: Seinesgleichen kommt. Man könnte auch sagen: Er ist die Denunziation der Denunziation, vor allem der Denunziation des Kapitalismus durch den Marx-geschwängerten Hegelianismus, der wie der Jäger Gracchus über den Kontinent geisterte, aber das würde manchem nicht schmecken und bliebe, als Formel, so schäbig wie die damit assoziierte Tätigkeit.
Iablis aktuell
Thema 2019: Formen des Politischen
Ob ›die Politik‹ seit dem 11. September 2001 neuen Mustern folgt (oder vielleicht doch eher seit dem Ende des Warschauer Pakts und der Sowjetunion oder dem Kosovo-Krieg oder dem 4. September 2015 – dem Beginn der ›Grenzöffnungskrise‹ – oder dem 20. Januar 2017 – dem Tag des Amtsantritts Donald Trumps – oder einem anderen dringend benötigten Orientierungsdatum), scheint eine eher kurzatmige Frage zu sein, vibrierend vom Wunsch nach unerhörten Begebenheiten im Gefolge der Ausbildung bisher kaum im Ansatz analysierter Machtstrukturen und Handlungsoptionen.
Wer die langen Zeiträume überblickt, in denen Politik ›gemacht‹ wurde, dem fallen ohnehin eher Parallelen ein als das Neue. Auffällig ist allerdings, dass sowohl Geo- als Biopolitik in den zurückliegenden Jahren eine Wendung genommen haben, die, obgleich lange vorausgesagt, von vielen so nicht erwartet wurde. Das liegt nicht zuletzt an den vielfältigen Versuchen, beide Politikformen zu fusionieren. Allein das exzessive Deutungsgeschehen um den sogenannten ›Alterungsprozess‹ Europas und einiger anderer Gesellschaften, der scharf mit den Geburtenüberschüssen vor allem islamisch geprägter Weltregionen kontrastiert, ist im Kern politikinduziert und politikgeleitet. Wer das nicht begreift, findet sich rasch im argumentativen und gesellschaftspolitischen Abseits wieder.