Musac2

Tag 1 /
Freitag der 28.1.2011

Endlich komme ich mit dem Bummelzug in León an. Auf dem Weg von Madrid nach León empfängt mich Spaniens Nacht im glitzernden Schnee.

Die Kameraausrüstung und der Rucksack liegen schwer auf meinen Schultern.

Ich nehme ein Taxi zum Restaurant »La Poveda«, in dem Stephan Köhler und Georges Adéagbo mich bereits erwarten.

Angesichts der fortgeschrittenen Uhrzeit checke ich nicht erst im Hotel ein, auch wenn mein allzu sichtbares Equipment mir wie eine Bewaffnung erscheint.

Am Restaurant angekommen, schlängle ich mich erschöpft und vollbepackt durch eine Ansammlung gutgelaunter, feiernder Spanier.

Mein Blick fällt zuerst auf einen Tisch mit sechs Herren, die Schnaps trinken, in ihr Kartenspiel vertieft.

Dahinter entdecke ich den Tisch mit Georges und Stephan, an dem noch drei weitere Männer sitzen. Als ich an den Tisch trete und umständlich beginne, mich meines Gepäcks zu entledigen, erhebt sich die Gesellschaft und empfängt mich freundlich.

Die drei anderen stellen sich vor als Matteo und Simone Fritelli sowie Octavio Zaya. Matteo ist ebenfalls Filmemacher, sein Bruder Simone Galerist für zeitgenössische Kunst. Octavio ist Kurator des MUSAC, an dem Georges am folgenden Tag seine Vernissage haben wird.

Ich setze mich neben Stephan, schräg gegenüber von Georges.

Das Tischgespräch wird zumeist auf Englisch geführt, wobei Stephan das Wesentliche für Georges ins Französische übersetzt. Stephan und ich wechseln einige Worte auf Deutsch. Simone spricht mich auf Italienisch an und wechselt ins Englische, als er mein Unverständnis signalisierendes Gesicht sieht. Octavio beginnt mit Georges ein Gespräch auf Englisch, wobei Stephan ins Französische übersetzt und Georges’ Antwort wiederum ins Englische.

Wir bestellen »Pollo« und eine weitere Flasche Rotwein auf Spanisch.

Schließlich spreche ich Georges auf Französisch an. Il me demande si je parle francais, je réponds que oui. Il sourit.

Das erste, was mir an Georges auffällt, ist sein Lachen. Unserer noch sehr jungen Bekanntschaft geschuldet, fällt es zwar etwas zurückhaltend aus, doch sehr direkt, dem Moment verhaftet. Er lacht mit dem ganzen Gesicht.

Das zweite sind seine Hände. Sie sind über und über mit Ringen und Armbändern geschmückt. Der Mittelfinger der linken Hand ist umschlossen von einer schwarzen, mit einem schmalen Band um sein Armgelenk befestigten Binde. Seine Nägel sind spitz und lang. Die Daumen sind soweit überstreckt, dass sie vom Mittelknochen an parallel zur Hand stehen. Die Hände fliegen die Worte begleitend durch die Luft. Sie kommen auf dem Tisch auf und verursachen durch das Klirren der Ringe eine Art Takt, der sich je nach Nachdrücklichkeit des Gesagten zu bilden scheint.

Als Georges zu mir blickt, schaue ich weg, auch er wendet den Blick ab, als er den meinen spürt. Zwei, die sich noch nicht kennen und sich beobachten. Zwei Bildermenschen.

Octavio gleicht einem Kolibri, lebendig und voller Energie erzählt er viele Geschichten. Eine handelt vom Bau des MUSAC vor ungefähr fünf Jahren. Octavio und zwei weitere Direktoren sollten die Architekten hinsichtlich der Konzeption der Ausstellungsräume beraten. Octavios Bruder, er ist Priester, sagt, Octavio müsse Maiskolben kaufen und die Körner bei der Begehung der Räume in jede Ecke werfen. Das sichere einen Erfolg von mindestens fünf Jahren. Octavio fragt nicht warum. Er handelt als einziger der drei, wie ihm geheißen. Er begeht, berät und befördert nebenbei schnell ein paar Körner in jede Ecke.

Die beiden anderen arbeiten schon lange nicht mehr für das MUSAC, Octavio mittlerweile seit fünf Jahren. Manche Realitäten hinterfragt man nicht. Georges lacht wieder. So beginnt für mich die Geschichte von Schicksal (le déstin), Zufall (l’hasard) und (Aus-)Wahl (la choix), drei Begriffe, die im Weltbild von Georges eine wichtige Rolle spielen.

Als das Restaurant schließt und wir gezwungenermaßen unseren Standort verlegen, checke ich auf dem Weg durch die Altstadt im Hotel »Boccalino« ein, in Begleitung von fünf Männern.  Die Dame an der Rezeption kommt nicht umhin, verdutzt zu gucken.

Dann geht es weiter. In der Bar sitzen Georges und ich uns gegenüber, so dass wir erstmals ungestört miteinander reden können. Seine Worte sind jedoch schwer zu verstehen, da der Geräuschpegel an unserem Tisch mit jedem Cruco (spanischer Schnaps) steigt.

Als wir gegen fünf aus der Bar aufbrechen, bin ich so müde, dass ich nicht mehr geradeaus gucken kann.

Stephan, Georges und ich verabreden uns, am nächsten Morgen auf den Flohmarkt zu gehen.

Ich falle in einen wohligen tiefen Schlaf.

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