Gabi Rüth ist tot. Einen solchen Satz hinzuschreiben – hinschreiben zu können –, geht über den Horizont kaum vergangener Tage. Er hat etwas Mechanisches, er enthält eine Feststellung, der nichts Festgestelltes entspricht. Wir wissen nicht, ob sie mit ›diesem‹ Leben, das nie ganz das eigene ist, abgeschlossen hat, abschließen durfte, oder ob sie mit einer Frage, die bis zum Schluss Wunde blieb, in den Tod ging. Das zu wissen – oder zu ahnen – ist dem engsten Kreis der Ihren vorbehalten. Wir, die Freunde, die dieses pulsierende und herzliche Leben gekannt haben, bleiben ratlos an der Grenze zurück, die ein dahingegangenes Leben von allen Versuchen trennt, ›den Tod zu verstehen‹.

Es gibt Freundschaften, die dort entstehen, wo andere enden: im Praktischen. Gabi Rüth hat ihre Doktorarbeit bei mir geschrieben, aus der Betreuung erwuchs ein Gespräch, das nicht abreißen sollte, ein Gespräch zu viert, das die Ehepartner ganz selbstverständlich einschloss. Als das Gespräch leiser wurde, weil eine tückische Krankheit sich dazwischenschob, als die Sorge wuchs, da wuchs auch etwas, was der Begriff Freundschaft nur unvollkommen beschreibt: ein tiefes Mitgefühl, das der Gesten so sehr bedarf und im täglichen Leben mit ihnen kargt.

Zu sagen, Gabi habe die Literatur geliebt, bleibt vielleicht zu sehr im Allgemeinen. Sie hat Bücher geliebt, in jedem praktischen wie theoretischen Sinn. Lange Zeit hat sie für den WDR gearbeitet. Für Acta litterarum hat sie, wann immer sich Zeit dazu fand, Bücher besprochen, Neuerscheinungen und solche, die ihr einfach am Herzen lagen. Ihre Kolumne Punkt.um hat viele Leser erreicht und erreicht sie noch immer. Nichts von dem, was sie dort schrieb und sprach, war für den Tag gedacht. Es sollte so gesagt sein. Das gilt nicht weniger für ihre wissenschaftlichen Artikel in Iablis: zu Thomas Körners Land aller Übel und nicht zuletzt zu den intrikaten Fotografien ihres Lebensgefährten Walter Rüth, deren Dolmetscherin sie wurde. Auch unserem 2017 verstorbenen Freund, dem Künstler-Schriftsteller Paul Mersmann, hat sie einmal ein kleines Denkmal gesetzt.

Liest man ihre Texte, dann macht sich ein diskretes Interesse an den Gestaltungen bemerkbar, die Sterben und Tod in Literatur und Kunst erfahren – als habe sie dort etwas gesucht, worüber man besser im Leben schweigt. Auch sie gehörte also zu den Bewohnern des verschwiegen-schweigsamen Abseits, jedenfalls zu denen, die es hin und wieder aufsuchen müssen, damit das Leben – und Sterben – erträglich bleibt.

Unsere Gedanken sind bei Walter Rüth, dem Freund.


Berlin, im November 2019

Ulrich Schödlbauer

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