Ulrich Schödlbauer

2.

Doch unten hin die Bestie macht mir Grauen. – Paris und Bern, Avignon, Nizza, Marseille, Genua und Wolfenbüttel, London, Berlin, Warschau, Köln, Petersburg und Madrid, Saragossa, Montpellier, Wien – überall Beziehungen; glanzvolle Auftritte, Triumphe und Ausweisungen. Ein solches Leben muss ein Geheimnis bergen, muss seine Hintergründe haben, weil es soviel Vordergrund bietet. Welchen anderen Zweck verfolgt also wohl, neben dem der Selbstdarstellung, jene monumentale Histoire de ma vie, die erotische Lebensbeichte, als den, beiläufig abzulenken von den obskuren Geschäften, den geheimen Aufträgen und verschwiegenen Dienstleistungen, den großen Intrigen und kleinen Machenschaften, Stationen einer Karriere im Verborgenen, im Schatten der Mächte, deren Effizienz er an sich so eindrucksvoll hatte erfahren dürfen? Ein Libertin auf Abruf, sozusagen. Man muss nur die Proportionen zurechtrücken, die Hinweise dechiffrieren und die Gerüchte, die ihn umgeben, als Teil des Rufs nehmen, der ihm vorauseilt und die Großen und Halbgroßen wissen lässt, an wem sie sind, welche Art von Umgang mit ihm sich empfiehlt, von geschäftlichem Umgang, so wie man mit Pfandleihern verkehrt. In der Tat: sein stets wacher Blick, seine Menschenkenntnis, seine Umarmungstaktik, sein moralisch-technisches Geschick, seine sozialen Vorlieben – schwer zu entscheiden, in welchen Kreisen er sich lieber aufhält: unter Leuten von Stand oder solchen, die sie mimen –, dies alles, zusammengehalten mit seinen unbestreitbaren, grenzüberschreitenden Erfolgen, qualifiziert ihn, vor jeder bestimmten Handlung, zum Spion in einem Jahrhundert, klatschsüchtig und geheimniskrämerisch, universal und sesshaft wie das seinige. Ganz außer Zweifel ist die Aura des Zweifelhaften, die ihn umgibt und die selbst das Unbezweifelbare durchtränkt, sein Format. Der Ruf dieses Mannes ist sein Charakter. Zwischen den Ochsenkarren der Händler, Schaustellerfuhren und gelegentlichen Equipagen die eigenen Mittel von Poststation zu Poststation überschlagend, reiht er sich in den nie versiegenden Strom aus dienstfertigen Militärs, skrupellosen Abenteurern und undurchsichtigen Agenten, der die Residenzstraßen des alten Europa wässert und die Häuser der Mächtigen netzt, ein Mann des Zwielichts. Schließlich, so haben wir ihn am liebsten: mutig und beschlagen, häufig im Unklaren über das Gewicht seiner Erkenntnisse, präzise und anmaßlich, den abenteuerlichen Zug seiner Erkundungen eitel herausstreichend, wirkliche Gefahr dabei eher wegwerfend behandelnd, stets suggerierend, im Mittelpunkt der Ereignisse gestanden zu haben, ein Spion, unserer vielleicht, seiner Zeit, Freund oder Feind?

 

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