Steffen Dietzsch
Das Rätsel der Gesellschaft
Ein deutsch-französischer Diskurs

Abendländische Philosophie:
der Mensch wird darin systematisch
in seinen größten Abstand zur Welt gedacht.
Julien Gracq

Der Titel dieses Beitrags ist einem gleichnamigen berühmten Buchtitel (von Max Adler, 1936) entlehnt. – Als es erschien, war ›Gesellschaft‹ außerhalb des Hegelmarxismus und der sozialistischen Literatur, wie E. Gothein zu Gesellschaft im Handwörterbuch der Staatswissenschaft (3. Aufl.) zusammenfassend schrieb, ein bloß verschwommener Sammelbegriff.  Im Gegensatz zu Gemeinschaft als einem natürlichen Menschenverbund (Familie, Clan, Stamm), schien sich ein Zusammenhang von nicht tribalistisch miteinander Verbundenen, von Fremden miteinander, nicht konzeptualisieren zu lassen. Gesellschaft sei gegenüber Gemeinschaft, so hatte es Tönnies in seiner maßgeblichen Untersuchung bestimmt, ein Konstrukt, ein Artefakt. – Dementsprechend hatte Hellmuth Plessner (1924) über Grenzen der Gemeinschaft nachgedacht − einer der Anlässe war, dass Gemeinschaft zum ›Idol des Zeitalters‹ wurde.

Der Zusammenhang in der Gesellschaft ist allerdings nicht mehr sinnlich erfahrbar, sondern weist als Verkehrsform den abstrakten Austausch aus. Diese neue, moderne Lebensform ist der von Kant so identifizierte »Antagonism der ungeselligen Geselligkeit«. Die ehedem fraglos vorteilhafte Idee einer die Menschen behütenden (überschaubaren) äußeren Gemeinschaft wird überwunden zugunsten eines nicht mehr sinnlich erfahrbaren internen Selbstzusammenhangs des Menschen. −  Es wäre die einzige Möglichkeit, der Plünderung der Zukunft durch die gegenwärtige sog. ›soziale Marktwirtschaft‹ Einhalt zu gebieten, so wurde neuerdings vermutet, wenn es gelänge, »eine sozialpsychologische Neuerfindung der ›Gesellschaft‹« (Sloterdijk) zu bewerkstelligen.

1. Das Solfeggio der Gesellschaft

Seit Mitte der Dreißiger versuchte man sowohl in Europa wie auch in Südamerika, jedoch mit methodisch unterschiedlichen Mitteln, das Solfeggio der Gesellschaft zu entziffern. − Als philosophisch bemerkenswert an der damit neu entstehenden modernen Anthropologie, namentlich von Lévi-Strauss, wurde kürzlich hervorgehoben, dass sie erstens nie »den Köder empirischer Legitimität« (Descola) in Anspruch zu nehmen gedachte, und zweitens »einer monistischen Konzeption des Geistes und der Welt« (ebd.) folgte. – Damit verbieten sich bezüglich des Gesellschaft-Begriffs alte (aufklärerische) vertragstheoretische oder milieutheoretische Begründungen von Gesellschaft. 

Für die Frage nach dem ›Was-ist-Gesellschaft?‹ bliebe also sowohl eine substantialistische Begründung von Gesellschaft wie eine dualistische, die von einer anfänglich-ursprünglichen »Opposition von Natur und Kultur als einem ›urweltlichen Datum‹« (ebd.) ausginge, nicht  zielführend. – Für eine damit induzierte ›dritte‹ Lösung eröffnen sich dann modern neue Perspektiven, die allerdings so oder so mit ihrer Subjektförmigkeit zusammenhängen.

a.
Das Werk von Lévi-Strauss bietet einen außerordentlich originellen Ansatz dafür: Er versucht, zumal er auch noch annimmt, dass »die Distinktion zwischen Natur und Kultur höchstens graduell sein kann« (ebd.), diese Opposition zwischen Natur und Kultur ineinander konvertierbar zu machen. Wie ginge das? Der ethnologische Beobachter Lévi-Strauss hat einen frappierenden Einfall: diese Entgegensetzung zu handhaben ist keine logische – cartesianische – Denkoperation, sondern er bemerkt, das jene Real-Opposition »sich aufhebt, wenn sie die Küche durchläuft«. (ebd.) – Ins Philosophische übersetzt hieße das: man muss beide Seiten der Opposition – isomorphistisch – als in ihrem Bewegungs-Modus, als in Tätigkeit gesetzt verstehen, also als eine Praxis,  als (in der Sprache des Deutschen Idealismus) Thathandlung.

Nun, das was hier unter anthropologischen Auspizien als in-der-Küche-passierend, eben als ›kochen‹ begriffen wird, kann man sich nämlich durchaus klassisch transzendentalphilosophisch übersetzen: als ›verkörpern‹, als Synthesis von prima facie ganz unterschiedlichen Elementen, abstrakt als ›schematisieren‹, ›realisieren‹, ›restringieren‹, kurz: als Enactivismus.

Und so kann man unter der vorausgesetzten Bedingung, dass man sich, wie von der Neuen Anthropologie explizit gefordert, ebenfalls an die erkenntniskritischen Kriterien von nicht-empirisch und antidualistisch bindet, unsere Titelfrage auf subjektivitätstheoretische Weise enträtseln. – Zugleich wäre ein transzendentalistischer Subtext aufweisbar in der Verfahrensweise der auf den ersten Blick ganz von der Neuen Philosophie des Deutschen Idealismus unterschiedenen Neuen strukturalen Anthropologie – beide sind vom wissenschaftlichen Typus her  Die Mathematik vom Menschen wie Lévi-Strauss es 1955 einmal ausdrückte ( … und der Intensitätsgrad der Mathematik in einer Wissenschaft macht – nach Kant – ihre Wissenschaftlichkeit aus). 

Der geistige Mittelsmann einer solchen Verbindung ist dann konsequenterweise auch ein Moderner, Friedrich Nietzsche nämlich, wenn er sich sein Verständnis der Metaphysikkritik so klarmacht: 

»Was mich am gründlichsten von den Metaphysikern abtrennt, das ist:  ich gebe ihnen nicht zu, dass das ›Ich‹ es ist, was denkt; vielmehr nehme ich das Ich selber als eine Construktion des Denkens ( … ),  also nur als regulative Fiktion, mit deren Hilfe eine Art Beständigkeit, folglich ›Erkennbarkeit‹ in die Welt des Werdens hineingelegt, hineingedichtet wird.« (Nietzsche, S. 239)

b.
Als eine der neuen methodischen Tugenden im modernen französischen soziologischen Denken  wurde schon in der Zwischenkriegszeit in Deutschland auf deren synthetischen bzw. konstruktivistischen Denkeinsatz abgehoben: Namentlich die Durkheimiens »führten die unpersönliche Vernunft und die verschiedenen Begriffe selbst auf Kollektivvorstellungen zurück und dachten so den Apriorismus und den Empirismus, die Transzendenz und die Immanenz zu versöhnen und sogar den Dualismus des Menschen, der zugleich Individuum und soziales Wesen, zugleich profan und heilig ist.« (Jourdan, S. 485)

Eine solche Bestimmung könnte man – aus deutscher Perspektive –  als den nachhaltigen klandestinen Kantianismus in der modernen französischen Sozialphilosophie identifizieren. Diese »machtvolle Dialektik von Durkheim, die Weite seiner Anschauung, sein metaphysischer Eifer und Mut«, so heißt es an gleicher Stelle weiter, »hat ihm einen großen Teil der Jugend gewonnen«. Allerdings: »Der traditionelle Rationalismus hatte darunter bald einen wahrhaften sozialen Mystizismus gewittert und Durkheim beschuldigt, die Gesellschaft zu vergöttlichen, wie Bergson die durée pure vergöttlicht hatte«. (Ibid., S. 484 f.)

Es galt namentlich die ›Gesellschaft‹, die zwischen Historismus  und der Tragödie der Kultur (Georg Simmel) zunehmend irrational gedeutet und dann als ›Gemeinschaft‹ identifiziert wurde, wieder in diskurs- und lebenspraktischen Kontexten verstehen zu lernen. Gemeinsam wurde dabei jetzt exemplarisch beiderseits des Rheins eben gerade die Mythengeschichte neu entdeckt, beide Male als »Garant einer menschlichen Kompetenz, die von der Moderne bedroht wurde: der Freiheit bzw. der sozialen Verbindlichkeit.« (Kippenberg , S. 95) Ein neuer Begriff von Gesellschaft wurde so über den ›Umweg‹ des Mythos-Begriffs denkbar, denn Mythen erzählen performativ Geschichten von der Gesellschaft.

Exkurs zu Ernst Cassirers neuem erkenntniskritischem Mythos-Begriff

Cassirer bemerkt früh schon, dass man mythische Denkformen wohl nur unzulänglich wird erfassen können, wenn es »nicht gelingt, von der bloßen Denkform des Mythos zu seiner Anschauungsform und zu seiner eigentümlichen Lebensform zurückzudringen.« (Symbol. Formen, 2, S. 89) Wenn also hierbei das bloß Begriffliche des Mythos deutlich überstiegen werden soll, dann natürlich nicht auch gleich sein Begreifliches. Cassirer fragt sich also, ob diesseits der überlieferten erkenntnistheoretischen Dichotomie person-interne (›privatistische‹) Intuition versus ›physikalistisches‹ Messen jetzt zum Erfassen des Mythischen nicht gleichsam ein Drittes möglich sein sollte. Zu bedenken wäre also, so der Einfall Cassirers, ob nicht die bisherigen reduktionistischen (›monolithischen‹) Erklärungsversuche des Mythos der Anlass sein könnten, über so etwas wie eine kulturphilosophische ›Feldtheorie‹ nachzudenken. Sie hätte immerhin den Vorteil, dass die aufzuklärenden kulturellen Artefakte nicht länger – wie schon neuerdings in der Naturwissenschaft – als »bloß summatives Ganzes, als ein Aggregat aus Teilen aufzufassen«, sondern als »ein System, ein Inbegriff von Kraftlinien.« (Logik d. Kulturwissenschaften, S. 92) 

Auf den Mythos bezogen hieße das jetzt, dessen Erzeugungsprozessen, d.i. Bewusstseinsprozessen, nachzugehen, als den Bedingungen ihrer Möglichkeit. Also eine Deutung einzufordern, die »die mythischen Gestalten als autonome Gebilde des Geistes nimmt, die aus sich selbst, aus einem spezifischen Prinzip der Sinn- und Gestaltgebung begriffen werden müssen.« (Symb. Formen, 2, S. 7)

Auf diese Weise vermag man gerade ›das Mythische‹ auch wieder als Gegenwärtiges zu verstehen und es nicht etwa als ein vermeintlich überwundenes Prälogisches einer fernen Vergangenheit ( ... oder der ›Dritten Welt‹) zuzuordnen. 
Cassirer beschreibt die Gesamtstruktur des mythischen Bewusstseins – ihren Wort-, Bild- und Schriftzauber – als ein ›synthetisches‹, aufs Leben abgestelltes Prinzip. Es ist jenes (schon von Kant in seiner Schematismus-Theorie) gesuchte Dritte, und zwar »dadurch, dass hier die beiden Momente, das Dingmoment und das Bedeutungsmoment in eine unmittelbare Einheit zusammenwachsen. Der Mythos erhebt sich geistig über die Dingwelt, aber er tauscht in den Gestalten und Bildern, die er an ihre Stelle setzt, nur eine andere Form des Daseins und der Gebundenheit ein.« (Montague, S. 259)

2. Der sozial-apriorische Charakter der Realität

In den Versuchen, den Mythos als Lebensform von z.B. Religionen zu begreifen, konnte man von Anfang an zwischen der (religions-)soziologisch orientierten Durkheim-Schule und dem Post-Neokantianismus von Cassirers Symboltheorie interessante, produktive Gegensätze konstatieren.

In beiden Denkansetzen geht es mit zwar unterschiedlichen aber nicht kontradiktorisch entgegengesetzten Methoden um das übergreifend gleiche, um »die Theoriefähigkeit sozialer Prozesse überhaupt.« (Lübbe, S. 13)
Durkheim konstatiert korrekterweise zunächst, so Cassirer, »daß weder der Animismus, noch der ›Naturismus‹ die eigentliche Wurzel der Religion sein könne; denn wären sie es, so hieße dies nichts anderes, als daß alles religiöse Leben  überhaupt ohne ein festes tatsächliches Fundament, daß es ein Inbegriff bloßer Trugbilder, ein ganzes von Phantasmen wäre. Auf so schwankenden Grunde kann die Religion nicht beruhen: sondern wenn sie irgendeine Art von innerer Wahrheit für sich in Anspruch nehmen kann, so muß sie sich als Ausdruck einer objektiven Realität erkennen lassen. Diese Realität ist nicht die Natur, sondern die Gesellschaft.« (Symb. Formen, 2, S. 229f.) Cassirer begann gleichzeitig mit jenen religionsphilosophischen Studien in Paris im Umkreis der Warburg-Bibliothek in Hamburg seine Analysen zur Begriffsform mythischen Denkens. Dies allerdings immer unter erkenntniskritischen Auspizien, um zu prüfen, ob neue Theoriefelder den Anforderungen anspruchsvoller Theoriebegriffe genügen könnten.

Cassirer allerdings vermutet, dass, wenn man mythische bzw. religiöse Konstellationen als letztlich und eigentlich sozial konfiguriert begreift, sie also gewissermaßen ›sozial-apriorisch‹ auffasst, dieser Erklärungsansatz dann »zuletzt auf ein usteron proteron h inausläuft. Denn so wenig die Form der objektiven Gegenstände der Natur ... etwas schlechthin und unmittelbar Gegebenes ist, so wenig ist es auch die Form der Gesellschaft.« (ebd., S. 230)

Namentlich am Phänomen des Totem macht Cassirer ein gewisses Unbehagen mit allen Arten von ›Letztbegründung‹ deutlich, also seine Ablehnung derjenigen Versuche, die Form und den Inhalt des mythologischen Bewusstseins aus der Empirie der menschlichen Gesellschaft ableiten zu wollen oder bestimmte soziale Lagen als konstitutiv für Religion bemühen zu wollen. In Anlehnung an eine Bemerkung Schellings aus dessen Vorlesungen zur Philosophie der Mythologie, sagt Cassirer: »das mythisch-religiöse Bewußtsein folgt so wenig einfach aus dem faktischen Bestand der Gesellschaftsform, daß es vielmehr als eine der Bedingungen der gesellschaftlichen Struktur ... erscheint.« (Symb. Formen, S. 212)

Der Totemismus ist für Durkheim gerade hermeneutisch ausgezeichnet als eine Projektion bestimmter sozialer Bindungen ›nach außen‹. Dabei sei, so Cassirer, »das eigentliche Objekt der Religion die Gesellschaft, während das Totem nur als ein sinnliches Zeichen angesehen wird, durch welches irgendein Gegenstand zum sozial-bedeutungsvollen gestempelt und damit in die Sphäre des Religiösen emporgehoben wird.« (ebd., S. 232) Diese, wie sie Cassirer nennt, nominalistische Theorie des Totem bei Durkheim gerät in die erkenntnistheoretische Kritik, da das dingliche Zeichen des Totem kein fundamentum in re, wohl aber eines im mythisch-religiösen Bewusstsein ist. Und die Formen der menschlichen Gesellschaft sind ihrerseits »nichts ursprünglich-Gegebenes, sondern etwas geistig-Bedingtes und geistig-Vermitteltes.« (ebd.)

Kurz, so Cassirer: die Gesellschaft, das Soziale ist kein bzw. stellt kein ›letztbegründendes‹, gewissermaßen Natur-Faktum zur Erklärung gesellschaftlicher Formen dar; vielmehr sollte das Soziale künftig kulturphilosophisch begriffen werden als Synthese-Form und Form des Werdens, beispielsweise mythischer Konfigurationen. Cassirer will künftig also eher das Formdenken als das Ursachendenken befördern, ganz in der Weiterführung seiner früheren Unterscheidung von Substanz – und Funktionsbegriffen.

Eine neue kulturwissenschaftliche Erkenntnistheorie, die hinsichtlich der Differenz von Lebens- und Denkformen vermitteln will, hätte uns also zu lehren, »Symbole zu deuten, um den Gehalt, der in ihnen verschlossen liegt, zu enträtseln – um das Leben, aus dem sie ursprünglich hervorgegangen sind, wieder sichtbar zu machen.« (Logik d. Kulturwiss., S. 86)

Cassirer versteht also symbolische Formen als den Inbegriff jener ›zweiten Natur‹ des Menschen, eine Welt selbstgeschaffener Zeichen und Bilder, die in dem, was wir prima vista die ›objektive Wirklichkeit‹ nennen, eine kulturierende Ordnung  – gefasst als Sprache, Kunst oder Religion – zu stiften in der Lage ist. Die hierbei aufscheinende kollektive, besser: transzendentale – soziale –  Dimension ist auch für die Durkheim-Schule gerade deswegen so schlechthin grundlegend, weil sie auf die ›tiefengrammatische‹ intersubjektive Verfasstheit im Menschen (und seinen Entäußerungen) selber verweist: »Die menschliche Existenz ist doppelt: der Mensch hinsichtlich seines Körpers ein sinnliches, individuelles, egoistisches Wesen; hinsichtlich der Seele ein moralisches, soziales, vernünftiges Wesen. ... eine Auffassung, die Durkheim von Kant hatte.« (Kippenberg, S. 129)

Die Durkheim-Schule wurde in der Zwischenkriegszeit in Deutschland neben Cassirer leider nur von wenigen anderen, weiterblickenden Philosophen rezipiert und diskutiert. Der einzige Ort dafür war die verdienstvolle Warburg-Bibliothek in Hamburg. Hier hatte im Februar 1932 auch der junge Joachim Ritter Gelegenheit, einen Theorieabgleich zwischen jener französischen Schule und Deutschland zu versuchen, und zwar gerade in Bezug auf  Mythos und Religion als zweier geistiger Formen fundamentalen Weltverstehens.

Wie Cassirer macht Joachim Ritter als zentralen Punkt bei Durkheim das Problem namhaft: Was ist eine soziale Tatsache und wie formt sie das religiöse Bewusstsein? Besonders prononciert und klar wird dabei die neue Antwort der Durkheim-Schule hervorgehoben, die in bemerkenswerter Weise an Intersubjektivitätstheoreme der philosophischen Moderne erinnert, mit ihrer neuen Begriffsbestimmung: mentalité collective – »Das, was Durkheim und Levy-Bruhl gezeigt haben, ist der Sozial- und der Kollektivcharakter dieser weder psychisch-individuell noch aus der eigenen Natur des Menschen noch aus den Verbindungen der objektiven Welt begründbaren Einheit.« (Ritter, S. 227) – Ritter sieht hierbei auch einen Denkansatz in Frankreich, der geeignet wäre, den Streit zwischen Empiristen und Aprioristen zu beenden. Diese Überlegungen der Durkheim-Schule sollten, so Ritter, »ernsthaft geprüft werden, gerade auch wo sie auf den ersten Blick etwas befremdend wirken.« (ebd., S. 231)

Dies ist der Anfang eines gemeinsamen Diskurses, von dem für unsere Gegenwart Michel Foucault als produktiv  hervorgehoben hat, dass mit ihm »das Empirische und das Transzendentale in einer Trennung aufrechterhalten und es dennoch gestattete, gleichzeitig auf beide zu zielen« und damit – notabene! – »die vergessene Dimension des Transzendentalen wiederherzustellen.« (Foucault, S. 387)

Literatur

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CASSIRER, ERNST, Zur Logik der Kulturwissenschaften [1942], Darmstadt 1994
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HOLZHEY, HELMUT, Neukantianismus, Würzburg 1994, 269 – 285 
JOURDAN, HENRI, Französischer Brief, in: Reichl’s Philosophischer Almanach, Bd. IV, hrsg. v. Erich Rothacker, Darmstadt 1927
KANT, IMMANUEL, Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. IV. Satz, Akademieausgabe, Bd. 8  
KIPPENBERG, HANS G., Die Krise der Religion und die Genese der Religionswissenschaften, in: V. Drehsen u. Walter Sparn (Hg.): Vom Weltbildwandel zur Weltanschauungsanalyse. Krisenwahrnehmung und Krisenbewältigung um 1900, Berlin 1996
KIPPENBERG, HANS G., Warum Durkheim den Individualismus der arbeitsteiligen Gesellschaft religionsgeschichtlich einordnete, in: Zt. f. Religionswissenschaft [Leipzig], 4(1996)
KNOPPE, THOMAS, Die theoretische Philosophie Ernst Cassirers, Hamburg 1992.
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LÜBBE, HERMANN, Cassirer und die Mythen des 20. Jahrhunderts, Göttingen 1975
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PERPEET, WILHELM, Ernst Cassirers Kulturphilosophie, in: Zt. f .philos. Forsch. 36(1982), S. 252 - 262
RITTER, JOACHIM, Die Erkenntnistheorie der gegenwärtigen deutschen Philosophie und ihr Verhältnis zum französischen Positivismus (Durkheim-Schule), Erstdruck in: Dilthey-Jahrbuch 9(1994/95)
SLOTERDIJK, PETER, Die Revolution der gebenden Hand, FAZ, Nr. 132, v. 10. Juni 2009, S. 31