Renate Solbach
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Die Rückkehr der schönen Gärtnerin
Notizen zur Mode


Schnipsel

»Je einförmiger die Körperbilder wurden, desto ernster wurden sie von den Menschen als Hinweis auf die Persönlichkeit genommen.«

(Richard Sennett, Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt/M. 1983, S. 191)

»Sich kleiden, um zu handeln, läuft in gewisser Weise darauf hinaus, nicht zu handeln, sondern das Sein des Tuns ostentativ zu bekunden, ohne die Widrigkeiten wirklichen Tuns auf sich zu nehmen.«

(Roland Barthes, Rhetorik des Signifikats: Die Welt der Mode, in: Die Sprache der Mode, Frankfurt/M. 1985, S. 257)

»In der Geschichte der Kleidung und der Mode spiegeln sich die Wünsche, die geistigen, politischen und sozialen Ideen einer Epoche – Mode ist damit zugleich als Kommunikations- und Identitätsträger charakterisiert.«

(Christine Elise Mani, Jeanne Mammen – Eine Berlinerin aus Paris, in: Garçonnes à la Mode im Berlin und Paris der Zwanziger Jahre, hrsg. von Stephanie Bung und Margarete Zimmermann, Göttingen 2006, S. 36)

»In beiden Illustrationen sind die Frauen in hochmodischer Kleidung mit kurzen Haarschnitten oder mit auffälligen Hüten charakterisiert – sie tragen ihre moderne Haltung gleichsam durch ihr modisches Auftreten zur Schau. Diese Verbindung von neuen Lebensidealen und neuer Mode ist durchgängig in den Zeitschriften zu beobachten...«

(Adelheid Rasche, Der männliche Blick, in: Garçonnes à la Mode im Berlin und Paris der Zwanziger Jahre, hrsg. von Stephanie Bung und Margarete Zimmermann, Göttingen 2006, S. 122)

Der Spiegel als Denkzeichen

»Das geschäftige Zentrum der Berliner Konfektionsanfertigung befand sich seit etwa 1880 am Hausvogteiplatz im Zentrum Berlins. An den Treppenstufen, die von der U-Bahn zum Hausvogteiplatz hinaufführen, prangte früher Reklame, heute sind Namen und Daten einiger bis 1939 am Hausvogteiplatz ansässiger Modefirmen wie Gerson, Manheimer und Hertzog dort eingeschrieben, Firmen, die entscheidend zum Entstehen der Berliner Konfektion und ihrem hohen internationalen Ansehen beitrugen. Dazwischen weisen Stufen ohne Inschrift auf nicht mehr ermittelbare Namen hin. Das im Jahr 2000 von dem Künstler Rainer Görß geschaffene Denkzeichen Modezentrum soll mit den Mitteln der Skulptur daran erinnern, dass die Enteignung und Zerstörung dieser Unternehmen, von denen fast achtzig Prozent in jüdischem Besitz waren, durch die Nationalsozialisten 1933 Tod und die Deportierung zahlreicher Menschen bewirkte sowie das Ende einer florierenden Branche und auch das Ende von Berlin als Stadt der Mode. Mit der Installation auf dem Platz, dem sogenannten Reflexum, assoziiert man die verspiegelten Wände einer Umkleidekabine. In den sich drei gegenüberstehenden Spiegeln erblickt man sowohl sich selbst als auch die umliegenden Gebäude und, an der Basis der Spiegel, die Inschrift, die Aufschluss über die Geschichte des Platzes gibt. Der Spiegel als klassisches Medium der Modebranche ist als Bindeglied zwischen Betrachter und Architektur, zwischen Gegenwart und Vergangenheit gedacht.«

(Christine Elise Mani, Jeanne Mammen – Eine Berlinerin aus Paris, in: Garçonnes à la Mode im Berlin und Paris der Zwanziger Jahre, hrsg. von Stephanie Bung und Margarete Zimmermann, Göttingen 2006, S. 29f.)

Der Spiegel als ›klassisches Medium der Modebranche‹ ist in seiner alltäglichen Funktion die Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. ›Die Person, die ich war, die ich bin und die ich sein könnte.‹ Der Spiegel in der Umkleidekabine zeigt die durch probeweise angelegte Kleidung verwandelte Person. ›Die könnte ich sein.‹ Der Kauf kommt nur zustande, wenn das durch die Anprobe erzeugte Bild einen positiven Wechsel auf die Zukunft ausstellt. Wichtig also ist – neben der ausgeklügelten Beleuchtung in ›guten‹ Geschäften, die auf das setzen, was sie Qualität nennen, im Gegensatz zu denen, die von vorneherein auf Masse spekulieren und die ›reine Gier‹ erzeugen – der Spiegel. Was zeigt er? Eine Wunschperson? Wie und von wem erzeugt? Ist jeder Kauf der Versuch der Kontaktaufnahme zu tief verborgenen Wunschvorstellungen von der eigenen Person oder die Exekution aktueller gesellschaftlicher Bilder?

Problemlagen, sich in Lebens- und Denkstile verwandelnd


»Der Wechsel der Moden ist Ausdruck dieses raschen Wechsels der Wertgefühle, den Simmel mit dem der Beleuchtung vergleicht.«

(Elisabeth Lenk, Die Ambivalenz der Mode, in: Silvia Bovenschen (Hg.), Die Listen der Mode, Frankfurt/M. 1986, S. 421)

In dem 1986 erschienenen, von Silvia Bovenschen herausgegebenen Sammelband Die Listen der Mode berichtet die Herausgeberin im Vorwort zweierlei, das mir wichtig erscheint: zum einen, dass über das Thema Mode immer in Krisenzeiten, also in Zeiten des Umbruchs oder des grundlegenden Wandels geforscht und geredet werde. Zum anderen, dass die Beiträge des Bandes sich inhaltlich auf die Aspekte der Bekleidung beschränken. Sie nennt dafür zwei Gründe. Der erste ist, dass sich die neuen auf ältere Texte bezögen, in denen fast ausschließlich dieser Aspekt beleuchtet werde. Einfaches Lesen der ausgewählten Texte zeigt, dass nur eine sehr oberflächliche Betrachtungsweise dieser Begründung statt geben kann, da die Einbettung in den gesellschaftlichen Kontext und Analyseergebnisse, die – je nachdem – mehr oder weniger über den ›eigentlichen‹ Kontext der Kleidermode hinausweisen, nirgendwo fehlen. Die Wahl der Auszüge spielt der Behauptung der Herausgeberin in die Hände. Kaum eine dieser ›Modetheorien‹, die sich in so manchem Fall als modische Reprisen erweisen, versteht sich nicht als im- oder explizite Gesellschafts- oder Zivilisationskritik. Nicht selten gewinnt man den Eindruck, dass es sich um eine Verschiebung des Schauplatzes handelt. Will heißen: über Mode kann direkter oder spielerisch, also ohne ernste Folgen, gesagt werden, was man ansonsten lieber ›unbeleuchtet‹ lässt, um sich nicht in die Nesseln zu setzen. Es ist eben alles eine Frage der Einkleidung.

Die zweite Begründung lautet in ihren Worten: »Zudem wird durch diese Spezifikation die Gefahr einer inflationären Überdehnung des Mode-Begriffs vermieden, einer Überdehnung, der jede Veränderung unserer Lebenswelt zu einem Datum der Mode wird, bis schließlich der Begriff Mode synonym mit dem der Veränderung selbst ist und jegliche Aussagekraft verliert.« Angesichts der ›Karriere‹ so manchen Begriffes eine sicher zutreffende Überlegung. Trotzdem scheint es mir wichtig, hier anzusetzen. Hat nicht der Wandel selbst sich verändert? Oder vielleicht besser der Motor des Wandels, seine ›qualitas‹? Verändert in einer Weise, die es sinnvoll erscheinen lässt, sowohl was Lebensweisen als auch was Theorien angeht oder den sogenannten Fortschritt von Theorien, von einem Wandel in Form von wechselnden Moden zu sprechen? Mode also als das Formprinzip des Wandels, das sich mehr und mehr auf alle Bereiche ausgedehnt hat. Eine heutzutage sicher als performativ bezeichnete List der in dem Band aufgeführten Theorien sind die vielfach anzutreffenden Definitionen der Mode als Synonym für Veränderung, Wechsel, Wandel oder das Neue in Permanenz. Ein interessanter Befund im Hinblick auf die Reformgesellschaft, die ihren Akteuren abverlangt, die Veränderung in Permanenz zu leben, zu denken und gutzuheißen, also sie erträglich (tragbar) zu gestalten. Zuspitzung auf die Gegenwart heißt Wechsel statt Tradition, das hat schon Simmel herausgearbeitet. In die Sprache der Medien übersetzt: Design bestimmt das Bewusstsein und die Gesellschaft dient diesem Bewusstsein als Laufsteg. Will man Sennetts Analysen in Verfall und Ende des öffentlichen Lebens Glauben schenken, handelt es sich dabei um ein Prinzip, das so neu auch wieder nicht ist, neu sind dann die Worte und Weisen der Beschreibung.

Eine Gesellschaft, die sich als in jeder Hinsicht ›mobile‹ versteht, ist ständig unterwegs an einen Ort, den es heute so noch nicht gibt, der aber immer schon vorbedacht sein will und mit den Zumutungen der Vergangenheit zurechtkommen muss, da ›Fortschritt‹ – wie das Wort sagt – der Schritt von etwas weg zu einem anderen hin ist, ohne dass es selber eine Auskunft darüber gibt, wie die interne Balance von Gewinn und Verlust jeweils aussieht.

Vielleicht wird in einer solchen Gesellschaft die ›Mode‹ mit all ihren Implikationen zur Konstanz im Wechsel oder anders ausgedrückt zum Versuch das Unmögliche zu leben. Mode als alltägliche und lebenstaugliche Verwirklichung der Utopie. Mode ist nicht zyklisch oder fortschrittsgerichtet, sondern beides. Eine eigene Form. Selbst mimetisch. ›Modetheorien‹ selbst (im doppelten Sinne) verdecken ein Problem: das der defizienten Beschreibung von Kultur.

Mode und Moderne

Wo liegt der Unterschied, oder, genauer gefragt, worin liegt das Gemeinsame, das ein flüchtiger Blick konstatiert? Meine Tochter trägt mit Inbrunst die aktuelle, der Mode der Siebziger Jahre nachempfundene Kleidung und wähnt sich im Gegensatz zu mir, die diese ›alten Formen‹ abgelegt hat –, modern. Ein junger Kollege aus dem Fach verwirft die Arbeiten älterer Kollegen als Theorien von gestern. Bei seinen neueren Forschungen bezieht er sich fast ausschließlich auf Arbeiten von Roland Barthes oder Walter Benjamin – Arbeiten aus einem anderen ›Gestern‹, das sich bei näherem Hinsehen rasch vervielfacht.

Neue Varianten gewinnen? Neue Akzente setzen? Auf Erfolgsmodelle setzen? Sich auf Modelle beziehen, die den Nimbus des Modernen tragen wie eine Nobelmarke?

Mode als individuelle Aneignung


Mode entspricht den Aneignungsformen in demokratischen Verhältnissen durch ihre ambivalente oder paradoxe Verfassung, die Simmel herausgearbeitet hat. Sie signalisiert die Einordnung in eine Gruppe, das gewünschte Zugehörigkeitsgefühl und die Absetzung gegen andere und so den individuellen Faktor.

Die Übernahme von Moden entspricht auch einem Bedürfnis des Menschen nach ›Ganzheitlichkeit‹, das die Ausrichtung am Allgemeinen in einem geschlossenen Wertesystem, sei es metaphysisch, religiös, politisch, ersetzt. Sie wird unter bestimmte Begriffe gestellt, die alle Lebens- und Arbeitsbereiche durchdringen und dabei eklektisch verfahren (können). Entweder wird ein Prinzip (oder Stoff) als für alle Bereiche relevant eingeführt und propagiert oder unter einen Begriff werden die unterschiedlichsten auch aus ganz verschiedenen Kulturen stammenden Praktiken subsummiert.

Das verändert das Lebensgefühl und Einstellungen bis hin zur Wahrnehmung von Farben und Formen. So werden dann nicht mehr nur Produkte verkauft, sondern Einstellungen und Beurteilung lebensweltlicher Zusammenhänge über das Lebensgefühl gesteuert.

Die Klimadebatte als ein neueres Beispiel. Dabei meine ich nicht ihre sachliche Bedeutung, das wäre ein anderes Kapitel. Am 4. 3. 2007 schrieb die Süddeutsche Zeitung: »In ein paar Jahre wird es in bestimmten Kreisen schick sein, nicht mehr nach Spanien, Indien oder sonstwohin zu fahren, sondern an die Ostsee.«

Nimmt man die Klimawarnungen ernst, dann wäre das eine vernünftige Handlungsweise. Aber es läuft nicht einfach über die Vernunft, sondern über das Lebensgefühl oder besser Lebensdesign, mit dessen Hilfe man sich, nachdem die Klassengesellschaft offiziell und im Lebensgefühl abgeschafft ist, innerhalb der Gesellschaft formiert. Aber auch das ›Ende‹ der Klassen verdankt sich Denkstilen, denen sich andere entgegenstellen, von denen der eine eine Zeitlang ›in Mode‹ ist, während der andere im Schatten weiter existiert und auf seine Stunde wartet: von der ›Erlebnisgesellschaft‹ à la Schulz zum ›Prekariat‹ als der neuen Klasse gibt es keinen Fortschritt, wohl aber einen Wechsel des Theorie- und, in der Folge, Wahrnehmungsdesigns.

Der wissenschaftliche Gang

Bei geisteswissenschaftlichen Theorien geht es selten um Falsifizierung, meistens darum, ›an der Zeit zu sein‹. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn bestimmte Fragen von der neueren Theorie gar nicht mehr beantwortet werden können oder sowohl Fragen als auch Antworten ›sinnlos‹ oder unsinnig sind. (Ein schönes Beispiel bietet die ›lange‹ Dominanz des ›Sprachparadigmas‹ in der Philosophie und den von ihr beeinflussten Disziplinen.)

Bestimmte Begriffe darf man in den Geisteswissenschaften (die Literaturwissenschaft bietet da ausgezeichnete Beispiele) heute nicht mehr benutzen, wenn man als ›auf der Höhe der Zeit‹ – will heißen der Forschung – gelten will. ›Das ist Theorie der 50er, 60er Jahre undsoweiter.‹

In diesen Fächern aber gibt es nur sehr bedingt ›Fortschritt‹ wie ihn die Technik bietet, von der dieser Begriff umstandslos übernommen ist. Das, was hier als Fortschritt bezeichnet wird, müsste oftmals eher unter dem Rubrum gewandelter gesellschaftlicher, politischer, ökonomischer Einstellungen verzeichnet werden, da ein einheitlicher Maßstab fehlt, an dem Rück- oder Fortschritt quantitativ und qualitativ gemessen werden könnten. Es bedeutet oft genug einfach Adaption und Aufgreifen von Theorien, die durch bestimmte Konstellationen zu leitenden oder ›herrschenden‹ geworden sind. Eine Tatsache, die sich nicht unbedingt einem sachlichen oder denkerischen Fortschreiten verdankt. Die Übernahme vollzieht sich in vergleichbarer Weise wie die Übernahme oder Durchsetzung – ein Wort, das für Theorien angewandt wird: ›sie hat sich durchgesetzt‹ – von Moden. Theorien weisen sich oft dadurch als modern oder ›an der Zeit‹ aus, dass sie Gesinnungen und Lebenseinstellungen, also Gruppenwerten entsprechen. Dominiert eine solche Gruppe, dann sind die von ihr bevorzugten Theorien ›an der Zeit‹. Die '68er oder allgemeiner die ›links‹ sozialisierten und infizierten Jahrgänge der Reformära wären da ein eindrückliches Beispiel. Vom sachlichen Gehalt her sind die von ihnen propagierten oder adaptierten Theorien, nimmt man sie genauer unter die Lupe, keineswegs immer ›links‹ im Sinne politischer Einstellungen. Sie gelten als ›links‹, da sie von ›den Linken‹ positiv aufgenommen wurden. Also ein ebenso äußerliches Kriterium wie der Versuch, sich durch das Mitmachen einer Kleidermode eine ›Identität‹ zu geben.

Kurrente Geschichten,

häufig Misserfolgsgeschichten, die der Entlastung – und sogar Rechtfertigung – herrschender Auffassungen dienen, da sie den Misserfolg auf die Schultern einzelner Gruppen oder Menschen legen. Allgemein Geschichten, die ›reale‹ Praktiken schildern anstelle programmatischer Normhandlungen. Als pars pro toto sind sie politisch unbrauchbar, es sei denn, sie dienen dazu, eine Trendwende / einen neuen Reformschub zu unterstützen.

In den kurrenten Geschichten der massendemokratischen Mediengesellschaft hat die Mode die Stelle der Propaganda eingenommen – in Form sistierter ›Überzeugungsarbeit‹. Eine repräsentative Schicht, an der man sich orientieren muss, um auf der Höhe der Zeit zu sein, Aussicht auf Erfolg zu haben, dem Fortschritt Genüge zu tun usw., wird gleich mit erzeugt. Ihre Vertreter erscheinen als Autoritäten aus ›Gründen‹. Dabei ist das Verfahren zirkulär. Ein Idol wird mit dem üblichen Medienaufwand aufgebaut. Das enorme Einkommen, das mit dieser erzeugten Popularität einhergeht, weist die Person als erfolgreich aus. Damit ist sie eine Autorität für alle, die nach ähnlichen Zielen unterwegs sind. Lediglich der Umstand der Herstellung oder Erzeugung wird verschwiegen und allen vorgegaukelt, wenn man nur entsprechend an sich arbeite, dieselben Einstellungen habe, sich so verhalte, dieselben Klamotten trage und auf eine bestimmte Weise auftrete, dann sei es möglich, dasselbe zu erreichen wie die happy few. Welche gesellschaftlichen Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit das funktioniert?

Die Gesellschaft ist in ständiger Bewegung begriffen. Während ich diese Überlegungen anstelle, entnehme ich den Medien (Beispiel: Deutschland sucht den Superstar), dass auch das Herstellen, das nicht mehr zu verheimlichen ist, gar nicht mehr verheimlicht werden soll. Es wird öffentlich thematisiert und funktionalisiert – nicht selten im Sinne einer zynischen Vernunft, um den Ausdruck von Peter Sloterdijk zu verwenden.

Ikonographien, Sprachregelungen, Festschreibungen sind die logische Folge. Wer sich ihnen entzieht, ist gesellschaftlich obsolet (reaktionär, revanchistisch oder einfach nicht auf der Höhe der Zeit.)

Film

Beispiele dafür, dass die Bewegungen der Mode als Interpretament für anderes dienen (können), bietet auch der Film. Um nur eines herauszugreifen: In dem überaus positiv rezipierten und besprochenen Streifen Der ewige Gärtner  (2006, nach einem Roman von John le Carré) geht es um ein Medikament, bei dessen Erprobung in Afrika seitens eines vom Grundsatz der Gewinnmaximierung angetriebenen Pharmakonzerns Menschen getötet werden.

Gezeigt wird der Arzt, der die Formel für das Medikament entwickelt hat. Er scheint Buße zu tun für diese Verfehlung. Und er hat offenbar gelernt: Er erzählt dem Ehemann der ermordeten Protagonistin, einer Menschenrechtsaktivistin, man müsse die für das Leben notwendigen Dinge den afrikanischen Frauen anvertrauen, da sie außerhalb des Machtspiels stünden. Der Europäer mit dem schlechten Gewissen belehrt den Europäer mit schlechtem Gewissen über Eva als den reformierten Adam. (Der Film verwendet die biblischen Konnotationen.) Der Frau, die an dem, was draußen vorgeht, nicht beteiligt ist, die erzeugt wurde aus der Rippe des Mannes, werden aufgrund ihres Verhaltens diesem gegenüber oder ihrer von außen (woher?) kommenden Einschätzung bestimmte edle Eigenschaften zugeschrieben.

Das provoziert die Frage, wie es denn damit in einer Gesellschaft aussieht, in der ein wichtiges und notwendiges Reformziel der Emanzipation der Frauen, ihr  massenhafter Einzug in gesellschaftliche Positionen, erreicht ist. Wie wirkt sich das Wechselverhältnis der – oft als fatal empfundenen – Fremd- und Selbstzuschreibungen aus, seit die Frauen aktiv in das Geschehen eintreten oder eingebunden sind oder, misstrauischer ausgedrückt, werden? Die Dialektik menschlichen Handelns gerät auch hier nicht außer Kraft.

Als Reformfaktor trägt die Frau die Zukunft ›auf ihrer eigenen Haut‹ und diese damit ›zu Markte‹. Sie symbolisiert das, was als Anzustrebendes niemals war, und wird darüber verfügbar.

Macht

Wir haben eine Bundeskanzlerin, Angela Merkel, und ihre Ausstaffierung ist nicht nur bei den Damen Thema. Sie weist sich als Frau der Reformen auch äußerlich aus – wie wir aus der Presse erfahren durften, hat sie ihren eigenen Kleiderstil von einer Berliner Designerin für den Wahlkampf und dann noch einmal für das Amt ›reformieren‹ lassen. Ich nehme an, die italienischen Maßanzüge eines Gerhard Schröder und die Reaktionen auf selbige in den Medien haben ihre Berater veranlasst, auch hier ›Augenmaß‹ walten zu lassen. Das Berufskostüm der Kanzlerin wurde an die Gegebenheiten der Zeit angepasst, ohne allzu modisch oder gar avantgardistisch zu sein. Außer in Momenten hoher staatlicher Festlichkeit trägt sie Hosen zu kurzen je nach Anlass farbig gestimmten Jacken. In diesem Aufzug ist Politik für Inhalte ›offen‹ – und hält sich bedeckt. Als Ausdruck eines Politikstils wird Kleidung zum pars pro toto der Politik, man ›trägt‹ bestimmte Reformen zusammen mit der passenden Kleidung, man ›trägt‹ die Ungewissheit des Reformkurses und die Unwägbarkeiten der Koalition als Jäckchen. Und das ist ganz normal.

Erfolg

1. Mode wird gemacht, durchsetzen muss sie sich selbst. Als ›Kreierte‹ erzeugt sie Realität. 

2. Mode stellt die Parameter von ›Heute‹ auf ›Gestern‹, von ›Wert‹ auf ›Unwert‹. Sie ist eine Interpretation des Zeitbewusstseins (unter anderen). In-der-Zeit-Sein heißt Mit-der-Zeit-Gehen.

3. Mode ist immer ›Reform‹. Sie tastet die Formen nicht an, sie interpretiert sie.

4. Eine revolutionäre Mode, so sagt man, verändert den Blick. Was bedeutet das? Es bedeutet, das Niedagewesene zu interpretieren: als etwas, das einem entfallen war.

5. Die konservative Mode konserviert den Blick. Die kleinen Veränderungen sind Stimuli, die den Welt-Alltag ›gestalten‹, soll heißen erträglich machen sollen.

6. Mode kennt keine ›Entwicklung‹. Was man so nennt, die Abfolge durchsetzbarer – und durchgesetzter – Veränderungen, ist jederzeit zurücknehmbar und durch andere Reihen ersetzbar.

7. Mode kennt keine Wissensstände, keinen ›Stand der Technik‹. Sie kokettiert mit ihnen, sie bedient sich ihrer, sie ignoriert sie nach Belieben. Entscheidend sind die Kosten, doch hier sind die Margen groß.

8. Auf dem Höhepunkt des Erfolgs schafft sie sich ab, verwischt ihre Spuren, denn eine ›durchgesetzte‹, von allen getragene Mode ist keine Mode mehr.

Splitter

Botho Strauss:  Schwangerenrat

»Das Leben der werdenden Mutter im Kreis werdender Mütter, alle solidarisch, im gröbsten verständigt, Schwangerenrat trifft sich dienstags bei Helen, nur der Hausmeister bleibt ein alter mürrischer Einsiedel. Aufgeklärt, blaß, gerade das Rauchen aufgegeben, etwas fettiges Haar, Jeans und T-Shirt und darüber eine folkloristische Strickware, nach immer mehr Aufklärung dürstend (›Literatur‹ nennen sie's kurz und umfassend), am liebsten die permanente Diskussion, um sich vor Glück, Unglück und anderen Unbegreiflichkeiten zu schützen. Helens Mann, Jurist, blond, stark gelichtetes Kopfhaar, Kinnbart, ist im vierten Monat ihrer Schwangerschaft in die SPD eingetreten. Seine Neigung zu skandinavischen Abholmöbeln hat sich bei der Einrichtung ihrer Dreieinhalbzimmer-Wohnung durchgesetzt. Gute moderne Zweierbeziehung. Sie gehen lässig und freundlich miteinander um, ohne Übertreibungen, ohne Flamme. Das ›sogenannte Irrationale‹ wird mit eben dieser Floskel angepackt und unter Kontrolle gehalten. Ihre Einstellung zu Beruf und Pflichten ist, soweit eben möglich, lustbetont. Vieles macht Spaß. Beim Liebemachen machten sie ein Kind. In dieser offenen Nische voller Miteinander trägt sie ihr Kind aus, und die werdenden Mütter des Bezirks tauschen ihre Erfahrungen und Sorgen, etwas beängstigt jetzt, da sie gebären sollen, aber ein Wissen von den natürlichsten Dingen kaum mehr besitzen. Lauter warme solidarische Nester, schon bei geringster Übereinstimmung, darin die Leute ihr kleines Ganzes hüten, um dem furchtbaren Ganzen, wie es wirklich ist in der Welt, etwas entgegensetzen zu können. Und es ist gut so. Denn für den Einzelnen gibt es ringsum nur den Abgrund (auch den der aggressiven Selbsttäuschung, daß es anders sei). Es bleibt gar nichts übrig, als auch noch den albernsten Schund des Gesellschaftlichen mitzutragen: Vater, Mutter, Tochter gründen eine Eltern-Kind-Gruppe und vernetzen sich mit Kitas und Bereichsräten der Selbsthilfe, mit Eigenbedarfswerkstätten, dem Kneipenplenum und der fahrbaren Stadtteil-Psychotherapie. Und doch: wie möchte man sich immer mehr von diesen Menschen der Stunde, den ganz und gar Heutigen, unterscheiden. Wie wenig könnte es befriedigen, nur und ausschließlich der Typ von heute zu sein. Die Leidenschaft, das Leben selbst braucht Rückgriffe (mehr noch als Antizipationen) und sammelt Kräfte aus Reichen, die vergangen sind, aus geschichtlichem Gedächtnis. Doch woher nehmen...? Dazugehörig sein in der Fläche der Vernetzung ist an die Stelle der zerschnittenen Wurzeln getreten; das Diachrone, der Vertikalaufbau hängt in der Luft.«

(Botho Strauss: Paare, Passanten (München-Wien 1981, Neuauflage 2004, S. 20f.))

Elfriede Jelinek: Dieses Dunkel klärt sich nicht

»Dieser Aufklärungsunterricht ist fad wie jeder andre Unterricht, dieses Dunkel klärt sich nicht. Da rinnt nur etwas Gelbes heraus, schnell, wieder zumachen, bevor das Leben womöglich noch zubeißt. Der Bursch schiebt sich einen dünnen goldigen Ring aus dem Kaffeegeschäft auf seinen Finger, so einen wie den, mit dem man Tiere als Besitz markiert. Aber diese Wursthauthose ist ziemlich schwer runter- und wieder raufgegangen, das Plastikzeug klebt wie Leim, es soll ja der Anschein erschaffen werden, die Frauen wären mit diesen Leichtlauftrikots geboren, so gut passen sie hinein. Jeder hat ein Recht auf einen Blick, der nichts verbirgt, sondern, im Gegenteil, alle Vorortzüge dieses verwaschenen Körpers hervorhebt. Es ist jedoch im Grunde nichts dahinter, das Fleisch kann definitiv nicht auferstehen, wie einer angibt, der das jetzt weiß. Dieser Lehrling kann aber das Geheimnis des Fleisches nicht ertragen und läuft schnell in den Jeansladen, um es mit seinem eigenen Körper zu verdecken. So jung ist er nicht mehr, daß er alles glaubt, was in die Welt mittels Antennen vom Dach gesendet wird. Eine fremde Macht ist er selber.«

(Elfriede Jelinek, Die Kinder der Toten, Hamburg 1997, S. 248)