Wolfgang Schluchter (Hg.): Fundamentalismus, Terrorismus, Krieg
Weilerswist: Velbrück 2003, 155 S.

Der 11. September 2001 hat auch auf dem Buchmarkt seine unübersehbaren Spuren hinterlassen. Prominente und weniger prominente Experten aller kulturwissenschaftlichen Fakultäten warteten, kaum waren die Twin Towers eingestürzt, mit ihren Erklärungen auf für ein Ereignis, das sich in dieser Dimension wohl nur die wenigsten hatten vorstellen können, bevor es tatsächlich eintrat.

Neben den endlosen Reihen marktschreierisch vorgebrachter Thesen und Theoreme vom ›Kampf der Kulturen‹, vom ›heiligen Krieg‹ oder der ›Entscheidungsschlacht zwischen Gut und Böse‹ wirkt das vorliegende schmale Büchlein, zumindest auf den ersten Blick, eher bescheiden. Es will, nach dem Vorwort des Herausgebers, keine »Analysen über Entstehung, Ablauf und Folgen des schrecklichen Ereignisses« liefern, sondern lediglich »reagieren, und sei es nur mittels Reflexion über das Geschehen« (7). So wurde vom Heidelberger Institut für Soziologie in Zusammenarbeit mit dem Institut für Politikwissenschaften und dem Deutsch-Amerikanischen Institut eine Vortragsreihe initiiert, die im Wintersemester 2001/02 in den Räumen des Deutsch-Amerikanischen Instituts Heidelberg stattfand. Der Band versammelt die fünf in diesem Rahmen gehaltenen Vorträge, ergänzt um einen späteren des Berliner Ethnologen Georg Elwert.

Die Beiträge beleuchten das Problem des religiös motivierten Terrorismus aus den Perspektiven der Soziologie, Politologie, Ethnologie und Islamwissenschaft. Dabei gelangen sie zwar im Detail zu unterschiedlichen, teilweise einander widersprechenden Schlussfolgerungen und Prognosen (etwa was die »Demokratisierbarkeit« islamischer Gesellschaften angeht), allen gemeinsam ist jedoch die Perspektive des westlichen Rationalismus beim Blick auf den Islam sowohl in seiner militanten als auch den mehr alltäglichen Erscheinungsformen. Und gerade hierin zeigt der Band eher das Dilemma des west-östlichen Konfliktes als dass er Ansätze zu seiner Überwindung aufscheinen ließe. Denn hinter den überlegen, kühl und distanziert geführten Diskursen spürt man die Hilf- und Ratlosigkeit derer, die auf den Buchstaben angewiesen sind, angesichts einer Tat, die alles Reden und Schreiben von vornherein entkräftet. Der Herausgeber hat vielleicht mehr recht als er selbst ahnt, wenn er das Buch als Versuch der »Reaktion« und nicht als »Analyse« bezeichnet: Zwar spricht es über die anderen, jene, die Anschläge verübten, sie billigten, darüber in Jubel ausbrachen oder auch nur mit der Faust in der Tasche ihre grimmige Genugtuung zum Ausdruck brachten, doch in der Art wie es das tut, sagt es etwas über uns selbst aus, über unsere spezifisch westliche Art mit solch monströsen Taten umzugehen. – Bereits ein Jahr nach dem 11. September 2001 war »Ground Zero« nichts weiter als eine große Baustelle im Herzen Manhattans. Den Gedanken, dass diese Art der Behandlung existenzieller Krisen ein Teil des Problems sein könnte, der unter dem Schlagwort des »Clash of Civilisations« eher schlecht als recht zusammengefasst wird, behandelt keiner der Autoren.

Der Vortrag des Kriminalsoziologen Peter Waldmann bildet zweifellos den Kern der ganzen Reihe. Er befasst sich mit dem »terroristische[n] Kalkül und seine[n] Erfolgsaussichten« (87). Ausgehend von der Definition des Terrorangriffs als eines in erster Hinsicht der Verbreitung einer Botschaft dienenden Aktes, der Tod und Zerstörung nur als Mittel zur Erzeugung von »Unsicherheit und Schrecken« (88) auf der einen Seite und »Sympathie und Unterstützungsbereitschaft« (ebd.) auf der anderen benutze, untersucht er die Besonderheiten des 11. September und stellt das Ereignis in die lange Reihe politisch motivierter Schreckenstaten seit der Zeit, da das Wort ›Terror‹ in den Wirren der französischen Revolution für diese Art der Gewalt geprägt wurde. Sein Fazit: Selbst die hohe Zahl der Opfer und das Fehlen eines Bekennerschreibens in Rechnung gestellt, folgt der Anschlag unübersehbar dem terroristischen Kalkül und stellt somit keinen kriegerischen Akt dar, auf den ein »Krieg gegen den Terror« die adäquate Antwort wäre. Vielmehr verfange sich dieser in der Falle des terroristischen Kalküls, indem er die Angreifer als Angegriffene darstelle und so die Sympathiewerbung erleichtere.

Wenn man, wie Waldmann, die Untersuchung auf die Tat beschränkt und sie auf ihre politisch-ideo­logische Funktion reduziert, lässt sie sich noch am ehesten begreifen (und möglicherweise auch adäquat beantworten). Anders sieht es aus, wenn man das religiöse, soziale und politische Umfeld miteinbezieht: Dann verliert auch die westlich-rationale Betrachtungsweise leicht den Boden unter den Füßen und stilisiert das Geschehen zu einem weltgeschichtlich bedeutsamen »Clash of Civilisations«.

Gegen diese vornehmlich von Samuel Huntington verbreitete Lesart argumentiert Wolfgang Schluchter in seinem Beitrag Kampf der Kulturen? Insbesondere kritisiert er Huntingtons fragwürdiges Modell der »Tektonik« einheitlich gedachter Kulturräume, an deren »Bruchlinien« (34) die blutigen Konflikte der Zukunft entstünden. Mit Weber, Durkheim und anderen führt er aus, dass Kultur »kein Bereich, sondern eine Dimension des menschlichen Lebens« (37) sei, der auch in der »säkularisierten Gesellschaft« eine Bedeutung zukomme. Außerdem erinnert er daran, dass religiöser Fundamentalismus keine spezifisch islamische Angelegenheit sei, sondern als »moderne Bewegung gegen die Moderne« in allen Religionen vorkomme, ja, dass er »ursprünglich ein amerikanisch-protestantisches Phänomen« (40) gewesen sei.

Was der Antagonismus von säkularisierter und religiös-fundamentalistischer Weltsicht für den Islam als Weltreligion und Anleitung zum richtigen Leben bedeutet, das untersucht Gudrun Krämer in ihrem Vortrag ›Der Islam ist Religion und Staat‹. Zum Verhältnis von Religion, Recht und Politik im Islam.« Ihre Ausführungen verdeutlichen, was der vielfach vorgebrachte Satz, der Islam habe nie eine Aufklärung durchgemacht, eigentlich bedeutet: Auch wenn es innerhalb der islamischen Welt unterschiedliche Auffassungen über die Auslegung des Koran gebe, so sei doch die Ansicht, dass »im Islam Religion, Recht und Politik eng und unauflöslich miteinander verknüpft« seien, zumindest in den islamischen Kernländern des Nahen Ostens »keine bloße Minderheitenposition«. (45) Ein Bekenntnis ohne entsprechende Taten sei für die meisten Muslime undenkbar: »religiöse Ethik kann und darf nicht ohne gesellschaftliche Wirkung bleiben«. (49) Krämer betont, dass »Islam« nicht mit »Islamismus« und dieser nicht mit »Fundamentalismus« gleichzusetzen sei, doch eine Prognose, wohin die islamischen Gesellschaften letztlich tendieren werden, wagt sie nicht.

Einer solchen versucht Wolfgang Merkel in seinem Beitrag Religion, Fundamentalismus und Demokratie zumindest nahezukommen. Dabei bedient er sich vornehmlich empirisch-statistischer Forschungsergebnisse, und die sprechen eine eindeutige Sprache: Von 41 Staaten mit einem islamischen Bevölkerungsanteil von über 50 % könne nur ein einziger, nämlich Mali, beanspruchen »noch den rechtsstaatlichen Demokratien zugerechnet [zu] werden« (70). Nachdem er das Argument des Zusammenhangs zwischen wirtschaftlicher Unterentwicklung und mangelnder Demokratisierung wegen der reichen Golfstaaten als nicht stichhaltig zurückgewiesen hat, kommt er nicht umhin, Huntingtons These von der Demokratiefeindlichkeit islamischer Gesellschaften zuzustimmen.

»Paradoxe Folgen der Weltpolitik seit dem 11. September« diskutiert Klaus von Beyme in seinem Vortrag. Seiner Ansicht nach habe sich im Gegensatz zum vorhergesagten »Kampf der Kulturen« gezeigt, dass 1.) die internationale Solidarität gestärkt worden sei, 2.) der bereits totgesagte Nationalstaat erneut als starker Akteur die Weltbühne betreten habe, 3.) innerhalb der einzelnen Staaten die Reformstaus unter dem Handlungsdruck der internationalen Politik endlich aufgelöst würden und 4.) Tendenzen erkennbar seien, dass sich das Hegemonialsystem der USA zugunsten internationaler »Governance« allmählich auflöse. Freilich konnten die jüngsten Entwicklungen im »Krieg gegen den Terror«, insbesondere die irrationalen und selbstherrlichen Ekapaden der US-Administration und ihre Manipulation der internationalen Organisationen noch nicht in seine Überlegungen einfließen. Möglich, dass seine Schlussfolgerungen vor diesem Hintergrund etwas anders ausgesehen hätten.

Der nachträglich aufgenommene Vortrag von Georg Elwert Charismatische Mobilisierung und Gewaltmärkte. Die Basis der Attentäter des 11. September fällt in mehrfacher Hinsicht aus dem Rahmen der bisher besprochenen Beiträge: Zum einen durch seine starke – ja, fast ist man versucht zu sagen, kraftmeierische – Rhetorik, die auch vor schiefen, geschmacklosen oder schlicht unsinnigen Vergleichen nicht zurückscheut, um ihre Botschaft zu transportieren; desweiteren durch die systemtheoretisch gestählte Überzeugung, alles, vom großen Ganzen der Weltpolitik bis hin zu den verborgensten Abgründen der Psyche des Attentäters Mohammed Atta im Blick zu haben und schließlich durch den Willen, hinter allem das Wirken einer einzigen, die ganze Welt bewegenden Kraft zu sehen: der Ökonomie. Gewiss, beim ersten Lesen ist man beeindruckt und denkt sich, dass da endlich einer die Funktionsweise des Al-Qaeda-Netzwerks genau beschrieben hat, und man stimmt dem Autor in seiner Kritik an den »über 1000 akademisch gebildete[n] Geheimdienstmitarbeiter[n] in vier westlichen Nationen« (112) zu, die es auch nach Jahren der Beobachtung und Analyse nicht vermocht hatten, die Pläne Bin Ladens und seiner Helfershelfer zu durchkreuzen – aber dann hält man inne und macht sich bewusst, dass das ja auch sonst niemandem gelungen ist, und schon erscheint die ganze Rede von »Gewaltmärkten« und »Wir-Gruppen« als ein Versuch, alten Wein auf neue Flaschen zu ziehen, nicht, um die Vorzüge theoriegeleiteter Analyse überhaupt zu verdeutlichen, sondern vor allem jene der eigenen anzupreisen. Solcherlei Eitelkeiten decken dann leider die bedenkenswerten Einsichten, die der Text auch zu bieten hat (etwa was den nahtlosen Übergang zwischen ›illegalen‹ und ›legalen‹ Aktivitäten der Terrororganisationen angeht) beinahe zu.

Am Ende bleibt die Frage, ob all der analytische Verstand, der in diesem Buch ausgebreitet wird, wirklich in ein Handeln einfließen kann, das solche politisch und religiös motivierte Gewalt in Zukunft eindämmt. Zweifel sind angebracht. Jedenfalls ist keiner der Autoren der Auffassung, dass sich den islamischen Gesellschaften das westliche Modell der Demokratie einfach per Dekret verordnen lässt.

Jörg Büsching