III Das Berliner Programm von gestern für morgen?

Das Drama näherte sich dem nächsten Akt. Der Berliner Programmparteitag stand an. Entwickelt wurde dieses Programm zu Zeiten des SPD/SED-Papiers im Hinblick auf den kommenden SPD-Star Lafontaine. Dies Programm konnte beim besten Willen zu diesem Zeitpunkt die vor kurzem nicht für möglich gehaltenen politischen Änderungen im Zuge der Friedlichen und Samtenen Revolution mit der Möglichkeit der Deutschen und Europäischen Einheit noch nicht reflektieren. Über Jahre waren viele Sozialdemokraten in diese Programmdiskussion intensiv eingebunden, hatten ihr Herzblut reinformuliert.

Soweit war das alles emotional noch irgendwie zu verstehen, gerade bei Freunden. Keinesfalls zu verstehen war jedoch die schreiende Unfähigkeit zum Umschalten. Das Programm passte plötzlich klar erkennbar nicht mehr in die Zeit und ihre neuen Erfordernisse. Deutschland-, Europa-, und weltpolitisch waren die Fenster offen und die SPD-West wollte davon auf ihrem Programmparteitag bis auf eine halbseidene Erklärung statt eines Änderungsantrages geradezu bockig keine manifeste Notiz nehmen! So als ob da Hoffnung war, dass der DDR-Trubel vorüber gehen würde und die SED doch noch ihre Chance mit der SPD bekommen würde. Jedenfalls passte das Berliner Programm weitaus besser zum SED-Reformgeschwafel als zum freiheitsgeprägten SDP/SPD-Volkskammerwahlprogramm vom Februar 1990.

Gleichermaßen symptomatischer und trauriger Tiefpunkt dieser Programmdebatte war die Verhinderung des Redebeitrages des deutschlandpolitischen Sprechers der SPD-Bundestagfraktion zu möglichen Schritten zur Deutschen Einheit. Katrin Fuchs MdB, eine ideologisch festgefahrene Lafontainistin, ließ als Parteitagspräsidiumsmitglied ihren Kollegen Hans Büchler MdB aus Hof am 20. Dezember 1989 nicht zu Wort kommen. Dieser wollte den Parteitag auffordern, ein Bekenntnis zur Deutschen Einheit abzulegen. Wäre dies gelungen, hätte die SDP wieder starken Rückenwind in Leipzig und überall in der DDR bekommen. So aber setzte sich Lafontaine durch und für Sozialdemokraten wurden die Montagsdemonstrationen ungemütlich. Mit Lafontaines Ablehnung der Deutschen Einheit kroch die Kälte in die DDR-weiten Demonstrationen. Daran konnten Brandt, Schmidt, Vogel, Büchler, Dohnanyi, Renger und viele, viele andere westdeutsche Sozialdemokraten nicht viel ändern. Lafontaine stand in der West-SPD in der Tür. Das wussten die Ostdeutschen. Mit Lafontaine hatte die SPD den falschen Mann zur falschen Zeit an Bord. Es konnte nur in die Hosen gehen.

Dritter sozialdemokratischer Stolperstein eigener Herkunft im Revolutionsherbst 1989 auf dem Weg zu Deutschen Einheit: Der Berliner Programmparteitag wurde weder verschoben noch zu einem deutschlandpolitischen Parteikongress zur aktuellen Situation umfunktioniert.

Kohl und der CDU wäre so ein Fauxpas nicht passiert. Die SPD zog die SDP nicht auf die Autobahn, sie schob sie ins Abseits.

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