Die Etappen aus meiner Sicht

I 1989: Die SDP traut sich was

Der Boden für eine SPD-Gründung in der DDR war, wie oben beschrieben, tatsächlich gut bereitet. Die Nachkriegsglanzlichter Kurt Schumacher, Ost-Büro der SPD, Frontstadtbürgermeister Willy Brandt, Passierscheinabkommen Westberlin, Außenminister und Naziopfer und -gegner Willy Brandt, Neue Ostpolitik, Bundeskanzler Brandt in Erfurt 12.3.1970, Brandts Kniefall in Warschau 7.12.1970, Grundlagenvertrag, Extremistenbeschluss, Bundeskanzler Helmut Schmidt und KSZE, Schmidts Standhalten gegen die RAF, Weltökonom Schmidt, Schmidts NATO-Nachrüstung und die direkte Folge INF-Vertrag, all das waren für die Mehrheit der ostdeutschen an Politik interessierten medialen Zaungäste durch den Eisernen Vorhang miterlebte Ereignisse, die der SPD noch bis in den Spätherbst 1989 hinein eine glanzvolle Perspektive zu garantieren schienen. Die Sozialdemokratie hatte sich über Jahrzehnte in Ostdeutschland einen Ruf erarbeitet, der scheinbar unkaputtbar helles Licht warf. Die Schattierungen sozialdemokratischer Politik waren bei den meisten Leuten nicht oder fast nicht präsent. Das linke Unterlaufen des Extremistenbeschlusses, der Hang zur Nebenaußenpolitik inklusive zur Schließung von Salzgitter und dem linken Anerkennungswahn der DDR-Staatsbürgerschaft, das Anrennen gegen Schmidts Nachrüstung und vieles mehr wurde bis 1989 zwar wie in Nebensätzen wahrgenommen, aber dennoch nicht stilbildend für das SPD-Bild der Ostdeutschen. Diese Fehlgriffe wurden erst mit der nach und nach erkennbar werdenden sozialdemokratischen Unfähigkeit, mit den plötzlichen Erfordernissen im Sommer/Herbst 1989 in der DDR fertig zu werden, zur Gefahr für das tatsächlich bis dahin wohl nur idealisierende Abziehbild (West-)SPD.

Das Monument Sozialdemokratie begann sich recht orientierungslos zu entblättern. Heraus kam dabei eine Partei, die in großen Teilen weder wusste, was wirklich los war und erst recht nicht willens und in der Lage war, den Ostdeutschen eine stringente Alternative anzubieten. Hier war die Union plötzlich groß im Vorteil. Sie spielte bis 1989 nicht wirklich eine Rolle, war dadurch regelrecht unterschätzt und startete mit Helmut Kohl scheinbar führungsstark step by step durch. Hier die scheinbar fahruntüchtige SPD, da Helmut Kohl mit seiner organisiert wirkenden CDU. Den in der politischen Vielfalt unerfahren Ostdeutschen blieb gar keine andere Wahl als Kohl mehr zuzutrauen.

Doch der Reihe nach. Die Ankündigung der nahenden Geburt des Kindes Sozialdemokratie in der DDR erfolgte am 24. Juli 1989. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte die West-SPD es wissen können, hätte sie es denn auch wissen gewollt, dass ein kleines Schwesterlein kommen wird. Leider wartete die erfahrene und ideologisch schläfrig gewordene große Schwester auf Erhellendes von ihrer riesengroßen, unansehnlichen Schwippschwägerin SED. Von dort kam jedoch außer Betonrezepten nichts Substantielles. Das kam dafür aus Schwante, ausgerechnet am sogenannten Republikgeburtstag am 7. Oktober 1989. Dort gründeten Martin Gutzeit und Markus Meckel gemeinsam mit 42 anderen jungen Leuten die Sozialdemokratische Partei in der DDR /SDP.

An und für sich traf es beide sehr hart. Die West-SPD sollte eine ungewollte, unideologische kleine Schwester einfach eben mal adoptieren und mit diesem sozialdemokratischen Etwas sogar noch gemeinsam an der Zerstörung der DDR wirken sowie an gemeinsamer Politik stricken?! Die SED und das MfS bereiteten sich zwar seit Gorbatschows Glasnost und Perestroika auf einen Tapetenwechsel zur Erhaltung der Diktatur der Arbeiterklasse vor, doch ging das ab Sommer 1989 für SED/MfS einfach viel zu schnell. Wer sollte denn jetzt noch auf die Kleiderordnung achten? Auch dem listigen Markus Wolf nützte plötzlich sein angebliches Ausscheiden aus dem MfS nichts mehr. Mit jedem Montag in Leipzig und der gesamten DDR zerbröselte die zum ›Tapezieren‹ vorbereitete DDR mehr und mehr. Der Zug in die Freiheit wurde immer schneller, SED und Stasi bekamen einfach keinen Fuß in den Führerstand. Nicht einmal die Besetzung des Bremserhäuschens funktionierte richtig. Die Leimrute Dialog wurde zwar von vielen angenommen, doch eben nicht, um mit dem Demonstrieren aufzuhören.

Eigentlich lief zu diesem Zeitpunkt noch alles gut für die Sozialdemokratie in West- und Ostdeutschland. Hier die West-SPD, das große Vorbild aus dem Fernsehen, dort die Ost-SPD/SDP an vorderer Front in der Friedlichen Revolution. Daraus musste doch etwas werden. Wurde es auch zuvörderst. Doch dann kam es von Woche zu Woche dicker. Allein die Diskussion um den Parteinamen SDP war ein Stück weit unterirdisch. Wieso denn nicht gleich SPD? Sozialdemokratie wurde von den meisten Ostdeutschen nur gesamtdeutsch gedacht. SDP in der DDR klang halt einfach wie SDP in einer DDR, die wohl noch ewig weiter bestehen solle? Hätten die Ostdeutschen damals gewusst, dass auch diese Namensgebung viel mit dem Fremdeln der West-SPD mit einer ostdeutschen Sozialdemokratie zu tun hatte, wir hätten damals sofort einpacken können. Dieser Schmarren hätte nur in Ostberlin eine (kurze) Chance (bis zu einer Fusion mit der SED?) gehabt.

Die Plauener Neusozis machten das in ihren Augen Nichtnachvollziehbare nur sehr unfreiwillig mit und nannten sich alsbald entgegen mancherlei Regieanweisungen ›von oben‹ sofort und schnörkellos SPD.

Rolf Schwanitz:

Die erste öffentliche Versammlung der SDP fand in Plauen am 30. November 1989 statt. Zuvor gab es eine Gründungsversammlung am 16. November, die von drei Personen (Klaus Gerstner, Kurt Schwabe, Rüdiger Müller) durchgeführt wurde sowie zwei weitere ebenfalls nichtöffentliche Leitungsversammlungen, auf denen sich die Mitgliederzahl auf insgesamt 7 Personen erhöhte. Bereits auf der ersten öffentlichen Mitgliederversammlung am 30. November, auf der ich eingetreten bin, gab es eine Diskussion, weshalb sich die Partei nicht gleich unter ihrem Markenzeichen "SPD" versammelt. Einen konkreten Umbenennungsbeschluss gab es aber da noch nicht. Das änderte sich aber bei der zweiten öffentlichen Mitgliederversammlung der SDP in Plauen am 14. Dezember 1989. Dort erfolgte unter Tagesordnungspunkt 3 ein einstimmiger Beschluss zu Umbenennung des Ortsvereinsnamens von »SDP« in »SPD«.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Berliner Landesvorstand (DDR) der SDP, erweitert durch Vertreter aus den Bezirken, zwei Tage zuvor, am 12. Dezember, ausdrücklich erklärte: »Der Name der Partei bleibt bis zur Delegiertenkonferenz am Beginn des kommenden Jahres bestehen. Der Vorstand bittet die Basisgruppen und Kreisverbände die Entscheidung über eine Namenänderung der Konferenz zu überlassen.«

Offensichtlich scharrte man damals nicht nur in Plauen gewaltig mit den Füßen.

Hier ein SPD-Aufruf zur Demonstration in Plauen vom 09. Januar 1990. Umbenannt wurde die SDP aber erst am 14. Januar.

Aufruf

Interessanterweise erlebte die SDP ausgerechnet 25 Jahre nach ihrer Gründung und 24 Jahre nach ihrer Fusion mit der West-SPD eine damals ungeahnte Renaissance. Das Gründerthema der SDP, die Zerstörung der SED, wurde durch die Diskussion um den Linksaußenministerpräsidenten in Thüringen wieder auf die politische Agenda der Bundesrepublik gesetzt. Plötzlich steht SDP nicht mehr nur für die nunmehr historisch gewordene Sozialdemokratie in der DDR, sondern für eine antitotalitär ausgerichtete Sozialdemokratie innerhalb der jetzigen SPD: Die SDP sozusagen nicht als Synonym deutscher Teilung, sondern als Spiegelbild der sozialdemokratischen Zerrissenheit in der Wahrnehmung der politischen Extreme. 2014 mehrten sich die Stimmen für eine Wiedergründung der SDP, die zuletzt in Ilmenau (3.11.2014), Erfurt (9.11.2014 und 4.12.2014 regelrechte Urstände feierte.

Erster sozialdemokratischer Stolperstein eigener Herkunft im Revolutionsherbst 1989 auf dem Weg zu Deutschen Einheit: Das Unvermögen, die SDP erfreut zu begrüßen.

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