Renate Solbach: Sarkophag

Apokalypse Now

Was wäre, wenn die Apokalyptiker unter den keineswegs einstimmig votierenden Klimaforschern recht hätten? Wenn ›uns‹ tatsächlich die Zeit davonliefe, mit all den Kipp-Punkten, Sekundär‑, Tertiäreffekten und Irreversibilitäten, verbrannte Erde, versunkene Küstenregionen, in Schweden stehen sommers die Fenster offen und die Dame des Hauses fächelt sich Luft zu, dieweil draußen das große Artensterben seinen Gang geht und das Ökosystem Erde kollabiert, kurz, wenn Gretas und ihrer Familie Albträume sich in einem weltweiten Phantasialand materialisieren: Nur noch zwölf Jahre? Die ominösen zwölf – schon wieder? Im Kinderzimmer tickt die verhängnisvolle Uhr, selbst im neu angeschafften E-SUV für alle Fälle, dem freundlichen Dino, gibt’s kein Entkommen. Was dann? Nun, dann läuft uns die Zeit davon, dem einen schneller, dem anderen langsamer, allen jedoch ohne Ausnahme und am Ziel treffen alle wieder zusammen. Dann wird an jeden die Frage ergehen: Wie hast du gelebt? Das ist das Pfand der Klima-Apokalyptiker: Sie für ihren Teil leben bereits in der menschengemachten Apokalypse. Die Zukunft, davon sind sie überzeugt, wird nichts bringen, was sie nicht im Ansatz heute bereits wüssten. Sie befinden sich also im Recht der Wissenden, dem die anderen, seherisch Unbedarften, nichts entgegenzusetzen haben. Wenn sie recht haben, dann haben sie recht und die Welt tanzt, so oder so, nach ihrer Pfeife. Daher lautet die einzige unabhängige Frage im Hinblick auf ihre wahnwitzige Gewissheit: Warum sollten gerade sie recht haben? Weil alle, die glauben, dass sie recht haben, sagen: Ihr habt recht? Das wäre, argumentationstechnisch gesprochen, ausgesprochen dünn. Weil der eine oder andere ›führende Klimaforscher‹, das plötzlich offen stehende Gelegenheitsfenster fest im Blick, behauptet, ›im Großen und Ganzen‹ hätten die Aktivisten doch recht (während er als Forscher unter seinesgleichen sich die Exklusivrechte am Rechthaben ganz ohne populäre Verkürzungen vorbehält)?

Das wirft die nächste Frage auf: Woran forscht der führende Klimaforscher, der sich so weit aus dem Fenster lehnt, ganz konkret? Nun, er forscht … an dem und dem, an Meeresströmungen im Nordatlantik vielleicht oder speziell im Jadebusen. Oder er hat ein paar Mitarbeiter zu einer geologischen Tiefbohrung abgestellt, während er am Schreibtisch eine neue Vortragsserie ausarbeitet, mit eingeplanten Stopps in Singapur und Beijing. Ansonsten, nimmt man ihn beim Wort, verlässt er sich er auf die Künste der Klimamodellierer – mit Computerprogrammen der komplexeren Art kennt er sich karrierebedingt nicht so aus. Schließlich gibt es unendlich viel zu erforschen und das Sesam-öffne-dich ›Klimaforschung‹ öffnet fast wie von selbst die Herzen und Konten und Grenzen. Er wäre doch gänzlich von Sinnen, wollte er die Gültigkeit eines noch lange nicht ausgereizten, ihm in wesentlichen Aspekten intellektuell und entscheidungstechnisch kaum zugänglichen Modells bestreiten, nachdem es ihn zur öffentlichen Person hat emporsteigen lassen und er ihm, unter anderem, den Zugang zu den Mächtigen verdankt.

Im Universum eines solchen Forschers besitzt die Frage »Habe ich recht?« keinen rechten Sinn. Besäße sie einen, so wüsste er, nicht viel anders als jeder blutige Laie, darauf nichts zu sagen. Also sagt er, und seine Stimme verlangsamt sich, als streiche er sich durch einen nicht vorhandenen Bart: »Wir wissen.« Er könnte auch anmerken, schließlich befinde er sich auf dem Stand der Forschung. Doch eine innere Stimme warnt ihn, denn er kennt sehr wohl ein paar der brüchigen Stellen und weiß recht genau, was eine bloße Hypothese von einer fundierten und diese von einer gesicherten unterscheidet. Er könnte auch sagen: So sieht das Standardmodell aus (nun gut, es gibt, wie immer, ein paar Varianten), die Modellierer haben eingebaut, was gut und teuer ist, auch ein paar von mir ausgeheckte Hypotheschen stecken mit drin, das gibt mir ein besonders gutes Gefühl und deshalb sage ich im Brustton der Überzeugung: »Wir wissen.«

Aber vielleicht hat der führende Klimaforscher auch schon längst keine Zeit mehr für eigene Forschungen. Er studiert die Berichte anderer und bereitet seinen nächsten Kameraauftritt vor. Das hindert ihn nicht daran, die ominösen Worte zu sprechen: »Wir wissen.« Wie viele solcher Wissender, die in Wahrheit nichts wissen außer dem, was andere geschrieben oder gemessen oder berechnet oder modelliert haben, also dem, was jeder sich anlesen kann, ohne ein führender oder überhaupt ein Klimaforscher zu sein, stecken in jenen unglaublichen 97 oder 99,9 Prozent ›wissender‹, tatsächlich zu wissen suggerierender Wissenschaftler, die irgendwann einer Meinung (und, jedenfalls in der Hauptsache, der sie ihr Einkommen verdanken oder die sie, aus welchen Gründen auch immer, in einer Publikation gestreift haben, eines Sinnes) zu sein behauptet haben sollen? Und wie viele von denen wiederum gehören zu den Apokalyptikern? Da schrumpft die Zahl der ernst zu nehmenden Klimaforscher, die immerhin wissen, wovon sie reden, weil es sich um ihren persönlichen Forschungsgegenstand handelt, doch gleich und Sie können, statt unter diesen ernst zu nehmenden Leuten die übriggebliebenen Apokalyptiker aufzutreiben, genauso gut zu den Adventisten gehen oder zu den Zeugen Jehovas oder den Heiligen der Letzten Tage: Davon gibt’s mehr und das Glaubenspotential ist gewaltig.

Politik absolut

Politik hat es mit Interessen zu tun, nicht mit Wahrheiten. Das haben von Storch und Krauß gut herausgearbeitet: Der wissenschaftlich drapierte Anspruch, politische Wahrheiten auszusprechen, zerstört den Sinn von Wissenschaft und Politik gleichermaßen. Politische Wahrheit beruht auf Simplifikation. Man spricht sie aus, um Zustimmung einzuholen: Diese Partei hat recht, wir sollten ihr folgen. Politikern, mit ›Wahrheiten‹ konfrontiert, stellt sich die Frage: Was will dieser Mensch (oder diese Gruppierung) von mir? Das ist kein Versagen angesichts der Wahrheit, sondern Ausfluss der Verantwortung für wirkliche Menschen und existenztragende Systeme. Soll heißen, jede wissenschaftliche ›Wahrheit‹, in den Raum der Politik getragen, verwandelt sich in Propaganda und wirkt als Propaganda. Im Raum der Wissenschaft gibt es keine Wahrheit, allenfalls die Suche nach ihr. Was zählt, ist das Argument. Nichtsdestoweniger ist Politik, jede Politik, gehalten, sich an den von ihr bereitgestellten ›Fakten‹ zu orientieren. Daraus besteht das beiden gemeinsame realistische Fundament, das niemand ungestraft verlässt.

Auflösen kann man den Widerspruch auf zweierlei Weise. Entweder lässt sich die Politik von der Wissenschaft führen und gerät dadurch in die Fänge ›führender Wissenschaftler‹ – ›B-Wissenschaftler‹, wie Alexander Sinowjew sie einst aus inniger Kenntnis nannte –, deren Verhältnis zur Macht in ungekehrt proportionalem Verhältnis zur ›Wahrheit‹ (zum wirklichen Stand des Wissens) steht, oder sie behandelt Wissenschaftsvertreter, sie mögen so fordernd auftreten, wie sie wollen, als Lobbyisten wie andere auch und sorgt dafür, dass sie zu ihrem – im Sinne des Gemeininteresses: relativen – Entscheidungsanteil gelangen. Politik und Apokalypse schließen einander aus. Die Geschichte der modernen Menschheit kennt einige Anläufe, wissenschaftszentrierte statt menschenzentrierte Politik zu betreiben – sie sind kläglich oder katastrophal gescheitert (Versuche, gegen wissenschaftliche Einsichten zu regieren, allerdings auch). Das liegt, unter anderem, an der jeweils auserkorenen ›Wissenschaft‹, die unter dem Einfluss der Macht mutiert und, siehe Diamat, in deprimierende Leerläufe mündet. Und es liegt an der Perversion der Macht, die sich, durch Wissen abgeschirmt, dem Individuum gegenüber absolut setzt, da es, Niklas Luhmann lässt grüßen, streng genommen kein Teil des Systems ist. Absolute Macht aber ist … böse. Die Beschwörung des Bösen bewirkt das Böse. Wer hat das gesagt? Niemand vermutlich. Nur die Aussage steht im Raum.

Faktenverdreher

Szenen aus dem Herzen – so lautet der deutsche Titel des Buches, das kurzfristig durch die Medien geisterte, weil es authentischen Aufschluss über die privaten Hintergründe des schwedischen Jungstars versprach, der, seiner Mutter zufolge, CO2 sehen kann. In einer Episode daraus diskutiert die Familie der Opernsängerin (Gretas Mutter Malena Ernmann) mit dem ›weltweit führenden‹ Klimawissenschaftler Kevin Anderson und seinem Kollegen Isak Stoddard im Institut für Geowissenschaften der Universität Uppsala über das Welt-Klimageschehen und die Publikationspolitik der schwedischen Medien. Dort fallen Sätze wie:

»Ich verurteile Klimaleugner und Skeptiker nicht. Nicht mal Politiker und andere Entscheidungsträger. Wirklich irritierend finde ich Forscherkollegen, die mehr oder weniger bewusst Fakten verdrehen, um nicht als Alarmisten dazustehen, auch wenn sie das innerlich sind. So was bringt mich auf die Palme.«

Wie das? Im Haus der Wissenschaft, sollte man meinen, sei Platz für Unaufrichtigkeiten aller Couleur. Wie zum Beispiel steht es um prestigesüchtige Wissenschaftler, die ›Fakten verdrehen‹, um als Alarmisten dazustehen? Oder um ethisch bewegte Wissenschaftler, die in die Klimaforschung gegangen sind, um ›etwas in der richtigen Richtung‹ zu tun? Oder um jene nie zu vermeidenden Opportunisten, die ihr Forschungsschiffchen in den Strom drehen, der uns alle trägt? Sind ›Fakten‹ Schalter, die sich nur in einer Richtung verdrehen lassen?

Das wäre zumindest seltsam. Wie schon gesagt, ein Faktum ist eine Zusammenfassung, ein Ermittlungsstand, der momentan und in einem bestimmten Zusammenhang nicht weiter problematisiert werden soll. Ein Faktum, das nicht in Frage gestellt werden könnte, ist keines. Irgendwo beruht alle empirische Klimaforschung samt ihren Fakten auf Messungen: Es ist immer möglich, dass sie fehlerhaft oder ungenau oder ergänzungsbedürftig sind oder falsch interpretiert werden, weil die Forscher – nun, weil sie einer vorgeprägten Auffassung folgen. Und selbstverständlich lassen sich Fakten in alle möglichen Richtungen verdrehen – aus Unfähigkeit, sie ›richtig‹, das heißt im Sinne derer zu interpretieren, die sich auf sie geeinigt haben, aus Arglist oder egoistischen Gründen, sicher auch aus politischer Täuschungsabsicht, falls es dafür Gründe gibt.

Wie sie einer verdreht, bleibt dem Zweck geschuldet, den er verfolgt. Wenn mir jemand sagt: »Ich bin Wissenschaftler, deshalb bin ich Alarmist! Meine Kollegen sind Täuscher, denn sie verfolgen eine politische Absicht«, dann weiß ich, das Feld ist politisiert und ich tappe auf zwei Ebenen im Nebel – der politischen und der wissenschaftlichen. Dieser eine Wissenschaftler mag mir sympathisch sein, er mag mir vertrauenswürdig vorkommen oder nicht: Meine Unwissenheit ist radikal und absolut. Und er kann mir tausendmal erzählen, dass alles ›in Wahrheit‹ noch viel schlimmer und drängender sei – entweder er führt mich in etwas ein, was er weiß, weil er nah genug dran ist, um sagen zu können: »Hier bewegt sich unser Wissen«, oder seine eigene, in der moralisierenden Wissenspose versteckte Unwissenheit mag sich graduell und relativ von meiner unterscheiden, aber sie bleibt durch Korpsgeist oder Gesinnungshuberei überdeckte Unwissenheit und eine Aussage über die Kollegen wie die zitierte enthält eine Denunziation.

Der Umbau

Hat ein den Interessen seiner Bürger verpflichteter Staat das Recht zum radikalen, technisch und arbeitspolitisch prekären Umbau seiner Volkswirtschaft auf den beratenden Zuruf einer Forschergruppe hin, deren Prognosen ein nach dem Urteil nicht weniger Fachleute unausgereiftes Klimamodell zu Grunde liegt? Hätten seine Repräsentanten das Recht, der Empfehlung eines von der Regierung einberufenen Umweltrates folgend dem demokratisch gewählten Parlament einen der wissenschaftlichen Wahrheit verpflichteten ›Rat für Generationengerechtigkeit‹ vorzuschalten? Immer angesichts der Tatsache, dass ›ein bisschen Wahrheit‹ gleichbedeutend mit einer großen Täuschung wäre, von der niemand mit Gewissheit zu sagen vermöchte, ob sie bei den Hauptakteuren auf Selbst- oder Fremdtäuschung beruht?

Selbstverständlich bleibt bei alledem richtig, dass die Abwehr einer drohenden Gefahr mit ineffektiven Mitteln ›in Wahrheit‹ bedeutet, keine Abwehr zu leisten. Das weiß auch die Klimalobby und verlangt stets eine ›unrealistische‹ Schippe mehr. Als rein symbolische Abwehrmaßnahmen allerdings sind die Klimapakete, die da geschnürt werden, ein wenig teuer und greifen zu tief in die Rechte der Bürger ein, um einfach so als ›das uns heute Mögliche‹ zu passieren. Staaten, die so handeln, geraten leicht in den als ›populistisch‹ geschmähten Verdacht, ihren Bürgern gegenüber die wahren Ziele der getroffenen Maßnahmen zu verschleiern. Einmal endemisch geworden, ist er geeignet, das Vertrauen einer großen Zahl von Bürgern in das Regierungshandeln nachhaltig zu unterminieren – und zwar, was gern vergessen wird, auf beiden Seiten des ›Klimaretter‹ und ›Klimaskeptiker‹ voneinander trennenden Grabens.

Neben – und über – der mit zweifelhaften Mehrbelastungen notwendig einhergehenden ›Enteignung‹ der Steuerzahler steht der Argwohn aufgescheuchter Bürger im Raum, nicht länger frei im Rahmen der bestehenden Institutionen über die Zukunft des Landes entscheiden zu können – und vielleicht, je nach ›umzusetzender‹ Variante, mehr als ein bloßer Verdacht. Argumentativ sind diese Bürger im Recht: Wer ihren ins Parlament entsandten Vertretern das Vermögen abspricht, ›gerechte‹ Beschlüsse zu fassen, und ihnen um künftiger Generationen willen eine Art fürsorglichen Vormund vorschalten möchte – Platons Philosophenstaat lässt von ferne grüßen –, verlässt den Boden der pluralistischen Demokratie und nähert sich Herrschaftsmodellen an, die, sollten sie in anderen Ländern angetroffen werden, ›autoritär‹ oder ›diktatorisch‹ zu nennen den hiesigen Medien in der Regel nicht schwerfällt. Kein Wunder also, wenn am Rande des offiziellen Politikbetriebs bereits die flapsig geführte Diskussion darüber brandet, ob Partei-Diktaturen nach chinesischem Muster nicht womöglich für künftig anstehende Entscheidungen großen Stils besser gerüstet seien als das eigene, als ›schwerfällig‹ stigmatisierte System. Seit Jahren macht ein gewisser vornehmer Ton, in dem von linker und rechter Seite einmal mehr die Demokratie zu Grabe getragen wird, so manchen Feuilleton-Beitrag ungenießbar. Wer die persönliche und politische Freiheit einem simplen ›vielleicht‹ zu opfern bereit ist, der sollte nicht allzuviel Hoffnung in die vage Möglichkeit setzen, sie vielleicht eines Tages, nach mehr oder weniger glücklich bestandener Gefahr, von den dann Herrschenden zurückerstattet zu bekommen. Im ökologischen Utopia der neuen Rousseauisten, die den ›Fußabdruck‹ des industrialisierten Teils der Menschheit auslöschen möchten, scheint sie ohnehin nicht vorgesehen zu sein.

Modellierer und Modell

Alle kennen sie, die gefühlte Wahrheit, das Glauben-zu-wissen, die Treue zu einer einmal gefassten Idee oder Hypothese, egal was die gesunde Skepsis darüber zu sagen weiß. Ein Modell, gleichgültig, ob es sich um einen Plastik-Bausatz des Sprößlings oder ein Welt-Klimamodell handelt, ist niemals wahr oder falsch. Es repräsentiert ein Objekt, einen Objektbereich, ein Kausalgeflecht, aber doch nur in bestimmten Hinsichten, niemals total oder absolut. Will ich wissen, ob es realistisch, das heißt für meine Zwecke tauglich ist, so muss ich mir über die von mir verfolgten Ziele im Klaren sein. Wozu soll es dienen? Ein Kind, das erleben muss, wie sein mit Eifer zusammengeklebtes Plastikmodell der Santa Maria im Wasser zur Seite kippt und zu keinerlei Schwimmtätigkeit aufgelegt ist, sobald der stützende Finger entfällt, erfährt durch Erwartungsenttäuschung, dass die Repräsentation, deren optischem Charme es erlag, sich zwar auf alles Mögliche, aber nicht auf die Schwimmeigenschaft bezieht. Anders ausgedrückt: Sie bleibt im Modell unrepräsentiert. Das Kind lernt daraus, dass es sich künftig entscheiden muss, ob es ein Modell zum Anschauen besitzen möchte oder ein schwimmfähiges.

Ein zu Prognosezwecken erstelltes Klimamodell, das nach Insider-Auskunft mit schöner Regelmäßigkeit unzureichende Prognosen (mit, wie man liest, sich stetig bessernder Tendenz) liefert, sobald man es an bereits eingetretenen Zuständen testet, ist entweder untauglich oder unausgereift. So lautet die wohl vernommene Botschaft nicht selten unzitiert bleiben wollender Kollegen. Ein auf zweifelsfreien Daten basierendes Klimamodell, das bei jedem signifikanten Datenschub – etwa der in den späten neunziger Jahren einsetzenden ›Erwärmungspause‹ – nachjustiert und mit Zusatzhypothesen aufgeputzt werden muss, von denen vorher, zumindest öffentlich, nirgends die Rede war, wirft Zweifel an der Grundhypothese auf (dass in Bedrängnis geratene Wissenschaftler immer noch einen Pfeil im Köcher haben – geschenkt). Ein in mehreren Varianten, zwischen denen keine rational begründbare Wahl möglich scheint, dem Rest der Community – und der Welt – aufgenötigtes Modell nährt den Verdacht, in wesentlichen Momenten unter- oder überdeterminiert (oder beides) zu sein, sprich: auf unzureichenden Daten und/oder willkürlichen Annahmen zu beruhen. Das festzustellen ist ganz normal und sollte nicht den Zweifel am Geisteszustand der ›Skeptiker‹ befeuern. Umso erstaunlicher wirkt die Erregung, die den Skeptikern von jenseits des Klimagrabens entgegenschlägt und außerhalb des umzäunten Wissenschaftsareals erst richtig zu Buche schlägt: Lobbyisten gegen Lobbyisten, Politiker gegen Politiker, Medienschaffende gegen ihre Leser, Leser gegen Leser, Eltern gegen Eltern, Kinder gegen Eltern, Erzieher gegen Eltern, Schüler gegen Parlamente, Fridays for Future gegen den Rest der Welt – lauter Unwissende, die zu wissen meinen, nein, glauben zu wissen wie je ein Dämonen- und Hexengläubiger des Mittelalters oder der frühen Neuzeit. Es ist keine kleine Sache, den Weltuntergang, in welcher Form auch immer, heraufzubeschwören: Da brechen Kräfte auf, die, wenigstens auf dem Boden Europas, in der Vergangenheit mühsam und unter Opfern gebändigt wurden.

KliMama

Folgt man der veröffentlichten Familienlegende, so erzieht Tochter Greta den Rest der Familie an der Klimafront, bis … nun, bis zu dem Zeitpunkt, an dem es sie vor das schwedische Parlament zieht, um die Welt zur Umkehr zu zwingen. Der keimende Fanatismus besitzt ein von hiesigen Medien gern verschwiegenes Vorbild: Zero Hour, eine amerikanische Klimabewegung, bei der Kinder von Politikern Antworten auf die Frage einfordern, »warum nichts unternommen wird«.

»›Gut gemacht, Greta‹, sagen Kevin und Isak unisono. In Gretas Augen tritt ein Leuchten, und ich habe das Gefühl, genau in diesem Moment entsteht etwas in ihr… Einen Augenblick lang ist es still. Gedanken schwirren durch den Raum – Gedanken daran, dass das fast unsichtbare Mädchen auf dem Stuhl am Fenster sich dazu entschieden hat, ins Rampenlicht zu treten, ganz allein, mit eigenen Worten und Gedanken, um die Grundfesten der gegenwärtigen Weltordnung zu hinterfragen…«

Eine Rezensentin schrieb über diese Mutter-Tochter-Beziehung: »Hoffnungslose Projektion? Kindischer Boykott der Eigenverantwortung? Oder wahnhaftes Streben nach diesseitiger Erlösung?« So lässt sich fragen. Lässt sich, außer mit ja ja ja, nein, nein, nein, auch darauf antworten? Die erwähnten ›Grundfesten‹, das erschließt sich aus der weiteren Lektüre des Buches, heißen money money money, und die ›Hinterfragung‹ gilt hauptsächlich den gewohnten Praktiken der eigenen Gesellschaftsschicht, es auszugeben, also dem Fliegen, Shoppen, Wohlleben: kein ganz ungewöhnliches, in vielen Familien virulentes Thema für Heranwachsende, wie Gretas Resonanz bei den Gleichaltrigen bestätigt. Das Projekt ›Greta‹ ist damit allerdings nicht einmal ansatzweise skizziert. Vielleicht hat es ja mehr mit kurrenten Frauenbildern der westlichen Gesellschaft zu tun, als die Kommentatoren sich eingestehen wollen. Der Eindruck jedenfalls drängt sich auf. Man liest Aufzeichnungen aus einem schnelldrehenden Familienkarussell, dem die Opern-Karriere der Mutter den Stempel aufdrückt. Häufige Wohnortwechsel, damit einhergehende Verkümmerung der Außenbeziehungen, ein privates Schein-Idyll –: das jäh umschlägt, als Greta abrupt das Essen verweigert und die Familie, allen voran die Mutter, radikal in den Bann der nacheinander rebellierenden Töchter und zum Leidensgang durch das schwedische Gesundheits- und Erziehungssystem zwingt. Da wurde, kann man annehmen, jemandem die Luft zum Atmen knapp und der Kampf gegen das allenthalben ›ausgestoßene‹ CO2 zum einigenden Band der gutsituierten, fest im Normensystem der schwedischen Gesellschaft verankerten Kleinfamilie.

›Klimafeminismus‹ (wie das Ende des Buches andeutet) als Verdrängungsangebot…? Auszuschließen wäre es nicht. Klimawissenschaft avanciert zum Player des Vertrauens, der das gesellschaftliche Spiel nicht mitspielt (wie sagte Greta vor der UN? ›kristallklare‹ Wahrheiten liefert). Wer so denkt und spricht, der kann, befreundete Klimawissenschaftler hin oder her, keine Innensicht auf den Wissenschaftsbetrieb haben. Er weiß buchstäblich nicht, worüber er redet. Woher auch? Wissenschaft erscheint ihm als die große ›weiße‹ Vaterfigur im Hintergrund, die es im Leben nicht geben darf, und Mutter wie Tochter betteln: Nimm uns an der Hand!

Das Leben ändern? Unbedingt!

Es gibt eine Wissenschaftspräsenz in der Gesellschaft, die darauf beruht, dass eine Menge ihr verpflichteter oder unter ihrem Bann stehender Menschen die wissenschaftliche Arbeitsweise nicht wirklich begreifen. Dafür steht der Ausdruck ›Glauben-zu-wissen‹. Exakt diese Formel prangt an einer der pathetischsten Stellen von Gretas Familien-Buch: »Wir glauben, dass wir wissen, was die Krise mit sich bringt. Und alle gehen davon aus, dass alle Bescheid wissen.« Besser kann man’s nicht ausdrücken.

Wenn die Klima-Experten, darunter die eigene Tochter, sich unterhalten, dann sitzt die Mutter still dabei. Sie will sich nicht durch Unkenntnis blamieren. Dennoch weiß natürlich auch sie, und das unbedingt. Mutter und Tochter haben unisono das Fliegen, das Über-fliegen des Globus (und seiner Natur) schlechterdings zum Symbol des Bösen erklärt – der verbotenen Lebensart. Die Vielfliegerei, ein Privileg der eigenen Klasse (und sicher eine der Ursachen familiärer ›Dekomposition‹), wurde radikal gestrichen. Stattdessen fährt der Vater mit der jüngeren Tochter im Elektromobil nach London zum Popkonzert.

Da prangt ein Riss im Familienbewusstsein, verursacht durch eine nicht bewältigte Lebensweise, an der man dennoch mit allen Fasern hängt, und Klein-Greta, die Flugverweigerin und Diva-Konkurrentin der Mutter, stochert darin herum. Wie das Gros der Klimaforscher, forschungslogisch durchaus plausibel, die Treibhaus-These, also die Herleitung des weltweiten Temperaturanstiegs in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts aus der industriell bedingten Zunahme atmosphärischer ›Treibhausgase‹ schlichtweg voraussetzt – als praktisch unhintergehbare Begründung für die Dringlichkeit der eigenen Forschungsvorhaben –, so leiten Klima-Aktivisten und Klima-Gläubige aller Schattierungen aus ihr einen Wissensanspruch ab, den sie zwar in keiner Wissenschaft einlösen können, wohl aber an jedem Kiosk, der Stoff für das Uralt-Thema aller Zivilisation, Du-musst-dein-Leben-ändern, in der Auslage hat.

Das ist noch nicht Religion, aber es nährt sich von ihren Motiven. Lebensfromm werden, die ›falschen Errungenschaften‹ der mit der Fratze des ›Raubtierkapitalismus‹ behängten Zivilisation mit Verachtung strafen, kann eine lebensbefreiende Option sein, vor allem, wenn die eigene Familie gerade Gefahr läuft, vor die Hunde zu gehen. Welche Instanz, so die naheliegende Frage, verfügt in der Wissensgesellschaft über genügend Autorität, um die persönliche ›Wende‹ einzuleiten? Das kann nach Lage der Dinge nur die Wissenschaft sein. Die Folgen lassen nicht auf sich warten. Das latente, hier und da offen aufbrechende Verlangen der ›befreiten‹ Gesellschaft nach Autorität lässt den autoritativen Gestus der Wissenschaft ins Autoritäre entgleiten – zunächst in der Gesellschaft, aber natürlich auch in der Wissenschaft selbst. Dieser Rückschlag droht, sollte ihm nicht Einhalt geboten werden, die Quellen des Wissens selbst zu verstopfen, die nie so rein sprudelten, wie Greta den UN-Granden einzuschärfen versuchte.

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