Renate Solbach: Sonnenaufgang

 

(5) Wohin mit den Rubelchen?

Als wir dann schon einigermaßen Russisch konnten, ab dem dritten Semester, machten wir uns immer mal auf zur Stadtwanderung durch Leningrad. In Hafennähe, vor einer Werft, kamen wir einmal nachmittags in einen Trubel von Leuten, viele Frauen. Es war, wie sich herausstellte, Zahltag. Der Trubel betraf die Rubel… Die Frauen warteten, wie wohl immer an diesem Tag im Monat, vor dem Tor auf ihre Männer. Sie wollten sie abhalten, das (ohnehin knappe) Bare gleich weiter in die nächste Kneipe zu tragen.

Wir Studenten bekamen unser Stipendium auch monatlich in bar ausgezahlt, im Dekanat an der Zahlstelle. Die Summe war nicht üppig, ca. achtzig Rubelchen. Davon konnte man gut Zigaretten kaufen, die Schachtel Belomorkanal (‚die ›Stärksten der Welt‹) kostete von Anfang an, seit Mitte der Dreissiger, unverändert 2,20 Rubel. Für einen halber Liter Wodka dagegen musste man schon 25 Rubel hinlegen (deshalb auch die preiswerte Praxis, Wodka immer zu Dritt zu trinken…). – Seit Kriegsende lebten die ›Erbauer des Kommunismus‹ in einem 10-Jahresrythmus des Währungsumtausches. Der letzte war 1947 (… so wurde regelmäßig Kaufkraft abgeschöpft).

Zu den sowjetischen Alltagsmythen, die uns immer erfreuten, zählt auch die Geschichte der Entlohnung von Nummer Eins, Stalin. – Man glaube sie kaum, sagt man über sie und mag sie ganz besonders. Diese Geschichte über Stalins Verhältnis zum Geld hinterließ uns seine Tochter Swetlana, als einen momentanen Eindruck, den sie 1963 in ihren »Zwanzig Briefen an einen Freund« festhielt (und 1967 veröffentlichte). Die freie Form des Briefes habe es ihr erlaubt, vollkommen aufrichtig zu sein. – Der Vater sei ein unerbittlicher Mensch gewesen. Gewiss hätte, so vermutete sie, ihre Mutter Nadja 1938 auch auf der Anklagebank gesessen, neben ihrem Freund Nikolai Bucharin (1888-1938). Ihr Freitod, am 9. November 1932, habe sie wahrscheinlich vor einem noch größeren Unglück bewahrt. Die Tochter hat ihn natürlich als Vater geachtet. Doch erst, als sie die Hand des Sterbenden streichelte, habe sich in ihr ein Gefühl der Liebe geregt. Das Zusammenleben der Beiden war also sehr widerspruchsvoll. – Sie habe den Vater eher selten besucht, und nennt als Grund die langweiligen Gespräche in seinem Haus. Allerweltlichkeiten, banales Zeug, uralte Witze, der Blutdruck des Vaters u.a.

Allerdings habe er sie bei ihren seltenen Besuchen immer mit gelangweilter Mine gefragt: »Sweta, brauchst du Geld?« – Sie habe darauf stets erwidert: »Nein!« – »Du lügst«, sagte er und lancierte ein fettes Bündel mit Banknoten in ihre Hände. Keine Ahnung, wie viel, keine Ahnung, was man dafür kaufen könnte. Der Vater selbst lebte immer noch in den Preisvorstellungen der vorrevolutionären Zeiten. Dass eine Studentin kein Geld braucht, mochten wir Studenten natürlich nicht recht glauben.

Aber. Wie kam Josef Wissarionovitch zu seinen ›Mäusen‹? Denn, so war die Fabel – der Meister besaß nicht einmal ein Konto! Geldüberweisungen im modernen Sinne gab es natürlich noch nicht. Also wurde ihm, spätestens seit Ende der Zwanziger Jahre, Monat für Monat, von einem Sonderboten (in dessen Haut niemand hatte stecken wollen!) ein dickes Paket auf den Tisch gelegt. Das nahm Stalin in die Hand und warf es achtlos in einen großen Holzschrank im Zimmer. Diese Geldbündel waren, besonders vor 1947, mit gewaltigen hässlichen Geldscheinen, immer veritable Pakete. Der Schrank quoll allmählich über. Sein Besitzer hat dann je nach Laune in den Schrank hineingelangt, um in einem momentanen Einfall irgend jemand zu ›belohnen‹. – Wer mag diesen Schrank nach dem 5. März 1953 geplündert haben…

Stalin kam, seitdem er nicht mehr im Kreml wohnte, seit 1932, nach Nadjas Selbstmord, kaum noch in die Situation, irgendetwas oder irgendwo etwas bezahlen zu müssen. – In diesem Sinne war Geld für Stalin eine durchaus überflüssige Angelegenheit Er bekam ja auch für seine gedruckten Beiträge, Reden, Verlautbarungen, Vorlesungen Bücher (anders wie andere Staatsmänner) kein persönliches Honorar ausgehändigt.

Ganz anders zum Geld stand er früher, in den vorrevolutionären Jahren. Hier war er gelegentlich – für die Partei – gar als Bankräuber unterwegs. Da war er »unser prächtiger Georgier«, wie ihn Lenin damals nannte, um den Geldbedarf der Partei zu sichern. Das war die Zeit, als Lenin noch den Satz in die Bücher schrieb: Gebt uns eine Organisation von Revolutionären und die notwendigen Münzen obendrein, und wir werden Russland aus den Angeln heben. Dazu brauchten sie damals keine Datschen und Häuser oder überhaupt Luxus. Stalin blieb auch in dieser Ausnahmesituation seines Hauses in Kunzewo ein erklärter Gegner von jedem Luxus. Es gab in seiner Wohnung keinen Luxus, mit allerdings, wie Swetlana schreibt, zwei Ausnahmen. Das waren einmal ein schöner und teurer indischer Teppich und ein Fässchen mit selbsteingelegten Gurken. Jedem seiner Besucher überreichte er zur Begrüßung eine solche Gurke und das dazugehörige Gläschen Klaren. Das war der Willkommensgruß.

*

Stalins Nachfolger, namentlich Leonid (Lonja) Breschnew (1906-1982), waren weit entfernt von dieser Geldabstinenz des Alten. Sie lächelten über diese frühbolschewistische Askese. – Breschnews große Liebe galt allen Luxusgegenständen, gern sammelte er Brillanten und Oldtimer. Seine »Freundschaft« mit dem Parteisekretär der sibirischen Republik Jakutien beruhte darauf, dass ihm dieser Mensch zu seinem Geburtstag, den größten Brillanten brachte, der jährlich in seiner Mine gefunden worden war. Diese Mine war nicht nur die größte der UdSSR, sondern galt auch weltweit als eine der größten. Auch für seine Tochter Galina fiel immer noch ein hübsches Stück ab. Erst Gorbatschows Perestroika machte Schluss mit dieser kriminellen Methode und sammelte all die schönen Dinge wieder ein. Mit dieser »Gewohnheit« hängt die Pointe eines bekannten sowjetischen Witzes zusammen: Breschnews Mutter war zu Besuch im Kreml und als es an die Rückreise ging, brach sie in einen Tränenstrom aus. Er fragte sie: »Was ist los, Mütterchen?« »Ach, Lonja«, klagte sie, »ich frage mich, was aus den vielen schönen Sachen wird, den Brillanten und den alten Autos, wenn eines Tages die Kommunisten wieder an die Macht kommen?!« – Nicht auszudenken.

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