Zugleich haben sich die Parameter in den Megastädten geändert. Für eine Stadt wie Mumbai bedeutet dies einerseits, dynamischer Mittelpunkt der Ökonomie des Landes und gleichzeitig durchdrungen zu sein von einer Dimension der Kriminalität und Armut, die bislang unbekannt war. Die Stadt ist undurchsichtig geworden. Ihre physischen Dimensionen überschreiten jegliche Vorstellungen von einer Stadt. Viele bekannte und unbekannte Schichten überlagern sich hier. Wenn Suketu Metha von »Maximum City – Bombay« spricht, dann meint er die Unendlichkeit der Vielfalt. Urbanes und Rurales treffen aufeinander. Von Hightech bis Viehzucht sammelt sich alles in der Stadt.

Ob sie schon zur Hölle geworden ist wie Karatschi, bleibt eine Frage. Ein Taxifahrer in Karatschi sagte, dass etwa zwei Drittel der Stadt schon zu Gefahrenzonen zählen. Eine wunderbare Beschreibung findet man in Chalid al-Chamissis »Im Taxi«9 über die Taxifahrer in Kairo. Sie sind geradezu Philosophen, wenn es um den Alltag und die Geschehnisse der Stadt geht.

Interessant ist, dass in vielen Städten der Welt fast die Hälfte der Bewohner in Verhältnissen lebt, die jeglichen basalen Grundstandards des Wohnens widersprechen. Wohn- und Lebensverhältnisse könnten bei weitem besser sein, aber die sozial-ökonomischen Bedingungen widerlegen diese Vorstellungen. Die Frage bleibt, wie Armut in der Gesellschaft zu definieren ist. Es ist erstaunlich, dass viele Stadtgesellschaften diesen Aspekt außer Acht lassen. Dabei kann man Stadtteile aufsuchen, um diese Lebenswirklichkeiten wahrnehmen zu können. Es gibt Stadtteile, die von der Verwaltung gänzlich abgeschnitten sind. Sie sind bloß da und prägen die Stadt trotzdem.

Stadt bleibt ein eigenartiges Gebilde. Sie ist beharrlich und erträgt vieles. Sie bewahrt alle Erinnerungen. Die Straßen und Bauten könnten uns erzählen, was in ihnen und vor ihnen geschehen ist. Freude, Trauer und Banales treffen sich an diesen Orten. Es ist die Kraft der Schriftstellerin und des Schriftstellers, diese Orte in ihrer Komplexität und auf der Basis genauer Recherchen zu thematisieren. Sie nehmen die recherchierten Informationen auf und transformieren sie in Geschichten, die eine mögliche Wahrheit darstellen. Jede Geschichte unterliegt der Interpretation des Schreibenden. Der Leser wiederum interpretiert erneut, macht sich ein Bild und durch diese Wahrnehmungen werden die Geschichten aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. So bekommen alle dargestellten Rollen einer Geschichte ihren Raum und bleiben untrennbar von der eigentlichen Erzählung Teil des Geschehens.

José Eduardo Agualusa schreibt in seinem Roman »Barroco Tropical«:

»Luna, Mond, nennen wir unsere Stadt manchmal zärtlich.
Ich finde, das passt. Luanda und der Mond sind gleich trocken, gleich dürr, gleich trostlos und ersticken in Staub.
Und doch erscheint uns Luanda genau wie der Mond aus der Ferne schön, strahlend und anziehend. Und ihr Licht besitzt dieselbe, rätselhafte Macht, Menschen zu Wölfen zu machen.«10

Stadt bleibt ein unteilbarer Raum durch ihre Komplexität. Sie ist poetisch und romanhaft zugleich.

 

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