Ulrich Schödlbauer

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Warum Erlösung?

Der Alte röchelte sanft.

Warum nicht La-la-ka oder A-pa-ti? Erlösung war ein westliches pattern. Ein anderes Wort fiel Fac ten Chek nicht ein. Dieses klang westlich. Das östliche Gegenstück hieß Überwindung. Es setzte auf Ringkampf und Sieg. Seine Waffe bestand in der Kunst, zum rechten Zeitpunkt loszulassen, um den Gegner pünktlich zu Fall zu bringen. Das hatte er schon als kleiner Junge gelernt. Die buddhistischen Meister … sie behaupteten, es in dieser Kunst zur Vollendung gebracht zu haben und jeden Gegner bezwingen zu können, sogar, im Fall aller Fälle, das Universum, wenngleich es sich, zugegeben, dabei um einen Grenzfall handelte.

Mag sein, sie hatten Recht. Zäh genug waren sie. Für ihr Modell sprach, dass es sie noch gab.

Doch es gibt auch immer die anderen. Dasein ist kein Argument.

Sprach ein Westler von ›Loslassen‹, dann war er am Ende und erwartete von der Umgebung, feindlich oder nicht, dass sie ihn in Ruhe ließ, jedenfalls bis er neue Kraft gesammelt hatte. Das empfand er als Wohltat, als kleine Erlösung, der irgendwann die große nachfolgen sollte.

Die große Erlösung … ein Wort, ein Abrakadabra, eine Inbrunst erzeugende Lautfolge. Bebende Lippen, heiße Gesänge, wütende Reden. Jugendliche zündeten auf der Suche nach ihr die Autos der Nachbarn an. In Rudeln streiften sie durch nächtliche Städte und hielten sich für Erleuchtete, wenn sie ihre Graffiti an die Hauswände sprühten oder eine Telefonzelle demolierten.

Protest, träumte Fac ten Chek, der Westen lebt vom Protest.

Alles andere ist Geschäft.

Natürlich ist auch der Protest Geschäft.

Den Protestierern ist das egal, sie bemerken es nicht oder wollen es nicht bemerken. Fällt es einem auf, ist auch das egal. Oder ihn versetzt der Argwohn in Wut, der Gegner könnte so denken, dürfte so denken, ohne dass eine höhere Macht einschritte, um der Häresie ein Ende zu bereiten.

Damit lagen sie richtig.

Diese Skeptiker des Westens, Abgefallene wie Kritiker … irgendwann inmitten der von ihnen diagnostizierten, nicht enden wollenden Krisen hatten auch sie bemerkt, dass das alles nicht so weitergehen konnte. Darin bestand ihre tiefste Überzeugung und ihr größter Schmerz. Stell dir vor, alles ginge so weiter – wie furchtbar! Was den Osten jahrtausendelang nicht störte – dass alles so weiter ging –, das erschien, kaum dass sich die Möglichkeit dazu abzeichnete, diesen Menschen ein Gräuel.

Ein Fieber … wir haben uns bei ihnen angesteckt. Ihr kleines, grausames, selbstmörderisches Fieber lässt uns keine Wahl: es oder wir. Wann immer wir irgendwo ›aufwachen‹, finden wir tausend Gründe, den Westen zu überwinden. Das ist eine Frage des Selbsterhalts, der einzig gangbare Weg, um zurückzukehren in den Jahrtausendschlaf, der kein Schlaf ist, der niemals Schlaf war, sondern hartes, erbärmliches Dasein von Tag zu Tag.

Angenommen, Fac ten Chek, im Westen ginge weiterhin alles seinen Gang – tick-tack, in zweihundert Jahren derselbe Anblick wie heute, dieselben Börsianer, dieselben Fußballspieler, dieselben Tabellen, dieselben Schauspielertypen, derselbe gnadenlose Tratsch – wäre am Ende dann er der Osten? Was wären wir? Wären dann wir notgedrungen der Westen, der Einspruch, der Protest, der randalierende Teil der Welt?

Welchen Sinn ergäbe das?

Offenbar keinen.

 

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