Ulrich Schödlbauer

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Fac ten Chek schreibt: »Der Ältestenrat erwägt, den Leuten das Reden zu verbieten. Im Hauptquartier des Heils soll es zu tumultartigen Szenen gekommen sein: ›Wir können doch den Leuten den Mund nicht verbieten!‹ – ›Warum nicht, verschlossen ist er doch schon!‹ – ›Ein entweichendes Virus ist zu viel!‹ – ›Und woher kommt es? Von meinen Leuten jedenfalls nicht.‹ Eingebracht haben soll die Idee die rechte Hand der Vorsitzenden, der Topf, wie er gern genannt wird (›Deckel auf, einwerfen, umrühren, Deckel zu!‹), die Vorsitzende selbst soll sich enorm ins Zeug geworfen haben, doch diesmal blieb der Vorstoß auf halbem Wege stecken: Beim Marschieren Klappe halten! Beim Essenfassen Klappe halten! Mindestredeabstand dreifünfundsiebzig! Da ist das totale Verbot praktisch schon in Sicht.«

Recht besehen, bedarf es kaum des Verbots: Den Leuten fällt ohnehin das Reden von Tag zu Tag schwerer. Wahr ist: kommt es einmal in Fluss, dann lässt es sich kaum mehr stoppen. Selbst den Redenden fällt das auf. Mancher versucht sich pantomimisch mit zwei vor das Visier gehaltenen Fingern das Wort abzuschneiden. Natürlich ist das lächerlich. Auch heißt es aufgepasst, dass nicht zufällig ein Polizist in der Nähe herumsteht. Jeder Büttel hat strikte Order, die geringste Andeutung, es existiere so etwas wie Zensur, im Keim zu ersticken. (»Wie darf sich der Laie das vorstellen?« – »Sie dürfen.«)

»Das Reden«, schreibt Fac ten Chek, »bedarf des Redenden. Der Mensch redet mit Zunge und Mund, mit Augen, Händen und Füßen, sogar mit dem Haar, jedenfalls der weibliche, er redet für Auge und Ohr und falls er dabei gut riecht oder einen fahren lässt, ergibt sich unter Umständen ein völlig anderer Sinn. Schneide all das weg und dir bleibt ein Geredsel, das nichts wert ist oder, sagen wir, wenn’s hochkommt, ein Zehntel vom vollen Sinn einer Rede und dann bleibt immer noch die Frage, welches Zehntel. Im Grunde schwatzen die Leute mit ihren Rüstungen, in denen die restlichen neunzig Prozent steckenbleiben, also mit sich selbst, denn was wäre so eine Rüstung anderes als ein Gefängnis der Worte? Der Ritter, der sein Visier heruntergelassen hat, brüllt ›Vorwärts!‹ und stürmt in die Schlacht, diese Hanseln hingegen, was bleibt ihnen anderes als das Abhören der eigenen Herztöne?

Ein Lebender unter Lebenden kritzelte: ›Wer redet, ist nicht tot.‹ Dann kam der Zeitpunkt, an dem auch er verstummte, ein Samurai der Wörter, jedenfalls bediente er sich meines Wissens an hervorgehobener Stelle der Schwertmetapher. Gemessen an solchen Maßstäben sind diese Leute tot, jedenfalls so gut wie. Die meiste Zeit merken sie nichts davon und weil sie nichts davon merken, reden sie nicht darüber. Angenommen aber, sie würden anfangen darüber zu reden, alle miteinander –«

Hier endet der Eintrag, vermutlich durch polizeilichen Zugriff, denn Fac ten Chek schreibt im Freien und das Volk beobachtet ihn mit Argusaugen.

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