Ulrich Schödlbauer

8.

Ein schön Gebild, das sich so zierlich regt. – »Gegen Ende September 1763 machte ich die Bekanntschaft der Charpillon, und an diesem Tage begann mein Sterben.« Der dies schreibt, schickt sich an, die Geschichte einer Begebenheit aufzuzeichnen, die er »entsetzlich« nennt, die Chronik seines befremdlichen, langwierigen und stummen Kräftemessens mit einer Londoner Prostituierten, in dem er immer neu unterliegt, bis zur letzten Demütigung, dem Entschluss zum Selbstmord. Sein »guter Genius«, ein befreundeter Kavalier, führt den Schwankenden – in seinen Taschen die Bleikugeln, sich zu ertränken – vom Themseufer fort und in das Lokal, in dem, vor aller Augen, die tot Geglaubte (tot durch seine Schuld) ein Menuett tanzt und es ihm, endlich, wie Schuppen von den Augen fällt. Es ist die Geschichte von Hybris und Sturz des Erfolgsverwöhnten, der sich erlaubte, eine Geliebte öffentlich zu annoncieren, und dem nun das Schicksal selbst in Gestalt eines weiblichen »Dämons« in den Weg tritt. Hier ist alles bedeutsam: der Schauplatz, die »Riesenstadt London«, die Schuhschnallen, welche die Siebzehnjährige, eine »makellose Schönheit«, bei der ersten Begegnung trägt – Casanova hat sie ihr drei Jahre vorher, unter ganz anderen Umständen, gönnerhaft zum Geschenk gemacht –, die Vordeutungen, die Erinnerungen. Der erste Akt dieser klassischen Tragödie ist die Geschichte eines Gelegenheitskaufs, bei welchem dem hochfahrenden, bereits gewarnten Chevalier ein Missgeschick unterläuft: Er hat die Ware bezahlt, ohne sie zu bekommen, sein sportlicher Ehrgeiz erwacht. Der zweite Akt spielt, zu neuen Konditionen, im Haus der Ware: Eine lange Liebesnacht hindurch – zu der die Mutter der Dirne die Kissen geschüttelt und die Decken gelegt hat – verharrt sie unverändert in einer Pose, in der sie, »zusammengekauert, mit gekreuzten Armen, den Kopf auf die Brust gelegt, in ihr langes Hemd eingewickelt«, den zunächst liebevollen, schließlich brutalen Attacken des Bettgenossen trotzt. – Gelegenheits­hure, ehrbare Dirne, Mätresse und Dame Schäferin – in jeder dieser Rollen perfekt, reizt sie den Gelegenheits­chevalier auf bis zur Besinnungslosigkeit, um ihm das Eine, Entscheidende, zu verweigern, die Penetration. Nur einmal, als sie ihn aufsucht, ganz anspruchslose Geliebte, sperrt er sich – eine verpasste Gelegenheit, so meint er später, ein Zwischenidyll. In der strengen Folge der Auftritte, der Serie von Demütigungen, hat das Mobiliar seine eigene Stelle; so haftet am Ende das Bild eines Lehnstuhls, den man für Casanova heranschafft, um den Widerstand der Charpillon auf mechanischen Wege zu brechen: ein sinnreich erfundenes Möbelstück voll versteckter Federn, die sich lösen, »sobald ein Mensch sich hineinsetzt. Der Vorgang vollzieht sich sehr schnell – zwei Federn umklammern die Arme, zwei weitere bemächtigen sich der Knie und spreizen die Schenkel, die fünfte hebt den Sitz kräftig an«. Casanova verzichtet, doch ist die Beschreibung für unsere Kenntnis des Erfindungsreichtums in einem Jahrhundert, das die Freiheit erfand, unschätzbar.

 

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