Ulrich Schödlbauer

Der Große Traum hat Ihr Land ausgeblutet. Er hat eine Menge Leute reich werden lassen, das ist wahr. Er hat den Reichtum einiger ins Unermessliche wachsen lassen, aber das Land durfte dafür einstehen. Seine Finanzen, seine Konkurrenzfähigkeit, seine Arbeitsplätze, seine Infrastruktur, sein brüchiger innerer Frieden – all das hat gelitten. Das wiederum hat den Machtkampf der zwei vom gleichen imperialen Weltordnungs-Traum heimgesuchten Kreuzzugsparteien mit wachsender Erbitterung aufgeladen, um dieses beziehungsvolle Wort hier zu benutzen.

Sie sind ein gebildeter Mann, Humby. Sie leben in einem christlich geprägten Land, wie Religionswissenschaftler das nennen. Da kennen Sie sicher Levithikus sechzehn, jene Passage der hebräischen Bibel, in der geschrieben steht, »dass also der Bock alle ihre Missetat auf sich nehme und in die Wildnis trage«, und Sie wissen auch, dass diese altrituellen Dinge am Jom Kippur zur Sprache kommen, dem traditionellen jüdischen Versöhnungsfest. Man sagt, der Bock habe das Menschenopfer abgelöst. Aber Sie wissen natürlich auch, dass wir hier nicht über antike Kulturen, sondern über verborgen Zwischenmenschliches reden, jenen verschatteten, gefährlichen, fest in der Psyche verankerten Mechanismus, der so weit verbreitet ist, dass einer seiner Beschreiber ihn den Grundvorgang aller Kultur genannt hat.

Einer wird ausgetrieben, notfalls getötet, damit die anderen sich … versöhnen, das ist das Wort. Die streitbaren Zwillinge reichen sich über der erkaltenden Leiche die Hände zum Bund und lassen den Ermordeten hochleben. Das ist nicht biblisch, das ist nicht christlich, das ist … menschlich.

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