Ulrich Schödlbauer

Ein Land, das sich von seiner Vergangenheit befreien will, vertraut prima vista seinem Befreier. Wer ist der Befreier? Einer, der Befreiung verspricht. Der versprochene Befreier kann ein Versager sein, ein Kriegstreiber, ein Machtbesessener, ein Pleitier, korrupt über beide Ohren, ein Geheimdienstler, der sich zum Staatsmann mauserte, die entschlossene Frau aus dem Osten mit dem untrüglichen Machtinstinkt, der wie Phönix aus der Asche des Volkseigentums auferstandene Oligarch, der auf dem Klavier nationalistisch gefärbter Verheißungen zu klimpern weiß, der Mann mit dem intelligenten Gesicht und der richtigen Hautfarbe – je größer, je irrealer, je irrwitziger, je anonymer das Versprechen, desto frenetischer wird die Gefolgschaft auftrumpfen. Die Geschichte kennt solche Massen-Heilande und wir kennen ihre Abgänge: Glücklich das Land, dem sie erspart bleiben.

Reden Sie einem Land ein, es sei möglich, vergangenes Massenunrecht abzuwaschen und jeder einst und heute unterdrückten Minderheit von Staats wegen Satisfaktion und Macht zu erstatten, ohne dass sich Widerstand regte und die Fratze der Reaktion sich aufs Neue formierte, und Sie haben für den Moment gewonnen. Sie könnten auch als tausendster Moses in der Wüste das Manna vom Himmel versprechen: Der Effekt wäre ganz derselbe. Reden Sie einem Land ein, es stünde in Ihrer Macht, die Welt so zu ordnen, als habe es die notorisch düstere, als Gegenwart verkleidete Vergangenheit nie gegeben, dann … dann hält die eine Hälfte der Nation Sie für übergeschnappt und die andere besteht darauf, dass Sie liefern. Schließlich haben Sie es versprochen. Zerstiebt das Versprechen in der Luft, dann besteht diese Hälfte immer noch darauf, dass Sie liefern. Wenn nicht Sie, dann eben die designierte Nachfolgerin. Diese Hälfte der Bevölkerung – entschuldigen Sie, wenn ich das so offen ausspreche, aber ich bin, wie Sie wissen, kulturfremd –, diese Hälfte lebt in dem, was ein alter Denker einmal ›selbstverschuldete Unmündigkeit‹ nannte – selbst verschuldet deshalb, weil sie sich in aller Wahlfreiheit für diesen Weg entschieden hat und nun nicht mehr aus den eingegrabenen Furchen herauskommt, wenngleich längst absehbar wurde, dass der Weg in den Abgrund führt. Ich sage ›in aller Freiheit‹. Aber das ist zurückhaltend formuliert: Die Wahl ihres Helden sollte schließlich der erste Schritt in die wirkliche Freiheit sein und er wurde der erste Schritt ins Desaster…

»Also das ist mir jetzt… Das ist doch…«

Echauffieren Sie sich ruhig. Das da draußen sind Ihre Leute, ganz recht. Unmündige, die den Traum von der großen Mündigkeit träumten, diese große, zuletzt an den Wahlurnen zerschellte Seifenblase, die Bewohner der rosa Zukunft, die anschließend in den Straßen der Städte randalierten und Autos demolierten, weil sie nicht wahrhaben wollten, dass der Traum, statt in die nächste, von Weiblichkeitsattributen gesäumte Runde zu gehen, ausgeträumt war. Glauben Sie mir: Ich kenne diese Spezies gut. Ich habe sie während meiner Jugend genauestens kennengelernt, innen wie außen. Schließlich war ich selbst einer aus ihren Reihen. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn der Große Traum platzt. Allerdings mussten wir das, was da mit uns geschah, tief in uns verbergen … falls das ein Unterschied ist, gut. Es ist ja auch nicht so, als hätte sich Ihr Land im Vollgefühl seiner Ressourcen mit einem einzigen Heiland zufrieden gegeben. Sein Vorgänger hat diesen Weltordnungsrausch entfacht, und als, wie vorauszusehen, seine siegreiche Armee in Ratlosigkeit versank, weil der Sieg nicht die Lösung war, sondern das Problem, als der Wechsel an der Spitze unumgänglich wurde, da stand schon der Friedensfürst auf dem Plan, um die Geheimdienste spielen zu lassen… Es war, alles in allem, ein gewaltiges Investment, das seither den Bach heruntergegangen ist, wenn ich mich jetzt einmal etwas rüde ausdrücken darf. Ich sollte das nicht sagen, niemand sollte das sagen, es fließt eine Menge Geld, um all das bereits Gesagte ungesagt erscheinen zu lassen. Aber wir unterhalten uns hier unter vier Augen und quasi am Modell: Da sollte es doch möglich sein, das Visier kurz zu lüpfen und sich in die Augen zu sehen…

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