Kondylis und Freud – Identitäts- und Motivationsfragen,
die Bedeutung des Fiktiven
Nachgelassene Notate
Aus dem Griechischen übersetzt und kommentiert von Fotis Dimitriou

Vorbemerkung

Panajotis Kondylis legte seinen philosophischen Ansatz in Macht und Entscheidung (1984) vor, dessen Fruchtbarkeit er mit den beiden geistesgeschichtlichen Arbeiten Die Entstehung der Dialektik (1979) und Die Aufklärung (1981) zuvor unter Beweis gestellt hatte. Für die Erklärungskraft seines Modells waren sie eine Probe, denen weitere, u.a. die sozialgeschichtliche Untersuchung Konservativismus (1986) oder Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform (1991) folgten. Die auf drei Bände geplante Sozialontologie sollte mit dem anthropologischen Ansatz weitere Forschungsgebiete erschließen. Doch Kondylis konnte nur den ersten Band fertig stellen; für die beiden weiteren Bände hatte er bereits über 4000 Notizen gesammelt. Die hier vorgelegten Notate zwischen 4364 und 4411 waren für den dritten Band Identität, Macht, Kultur geplant.

Dem ›deskriptiven Dezisionismus‹ von Macht und Entscheidung liegt, wie gesagt, ein anthropologischer Ansatz zugrunde, der die Wirkungsweisen des biopsychischen Elements des Menschen im Rahmen seiner Vergesellschaftung untersucht. Dabei wird deutlich, dass die Struktur der sozialen Wechselwirkung über alle Kulturen und Zeiten der Menschheitsgeschichte dieselbe bleibt. Nur die Inhalte ändern sich, und sie drängen sich so nach vorn, dass sie die zugrundeliegende Struktur oft verdecken. Diese zeigt sich im Streben jedes Individuums nach Selbsterhaltung und dazu fortwährend Entscheidungen treffen zu müssen. Dieses Streben drückt sich für den vergesellschafteten Menschen auf ganz unterschiedliche Weise in Machtstreben bzw. Machtanspruch aus. Die Wirkungen dieses biopsychischen Elements konzentrieren sich bei den vorgelegten Notizen auf die Identitäts- und Motivationsanalyse.

Die Reihe der hier vorgelegten Zettel hatte Kondylis noch nicht nach Oberbegriffen geordnet, sie wurden wahrscheinlich in der hier vorliegenden Reihenfolge notiert und betreffen einen engen thematischen Rahmen. Aufgrund des zeitlichen Nacheinanders wird deutlich, wie auf Fragen über (vorläufige) Zusammenfassungen nach Antworten gesucht wird, die wieder zu Weiterungen anregen. Dabei werden andere Forscher befragt, wobei auch deren Abstraktionen auf Widerspruchsfreiheit überprüft werden. Dieses beständige Bedürfnis nach Aufklärung zeigt den Forscher Kondylis bei der Arbeit.

Freud und Kondylis stimmen beide der Einsicht Schopenhauers zu, der Selbsterhaltungswille habe sich die Ratio als Werkzeug geschaffen. Diesen Gedanken fasste Freud in das Bild der Ratio als Reiter, der die überlegenen Kräfte des Pferdes zügeln soll, aber keine eigenen Kräfte habe und sie vom Selbsterhaltungswillen borgen müsse.

Der vorliegende Ausschnitt der Notizen beginnt mit einem vorläufigen Ergebnis früherer Überlegungen zum Zusammenhang von Selbsterhaltungsstreben und Lustprinzip. (4364f.) Sie sind für Kondylis biopsychisch miteinander verbunden. Unter den Bedingungen der Vergesellschaftung des Menschen und damit der Kultur wird aus dem Selbsterhaltungstrieb, so Kondylis, ein Machtstreben, und an dieses wird das Lustprinzip geknüpft. Somit bedeutet Macht Lustgewinn, und so bekommt das Lustprinzip unter der Leitung des Machtstrebens einen anderen Charakter als unter den Bedingungen des bloßen Selbsterhaltungsstrebens. Denn in der Verbindung von Machtstreben und ihrem Werkzeug Ratio verlangt Machtgewinn Aufschub, Verzicht, Askese. Entsprechend zu diesem Erklärungsmodell unterscheidet Kondylis zu Beginn in 4365 zwischen ›Lustprinzip‹ und ›Lustaffekt‹.

Auf den ersten Blick erscheint es dem Leser nachteilig, die Notate scheinbar ungeordnet vorzufinden. Doch der genauere Blick zeigt, dass in den Notizen zwar zwei Themenbereiche zugleich verfolgt werden, doch wird nach und nach deren enge Verbindung erkennbar, sie ergänzen und beziehen sich aufeinander. Zum einen werden auch im Sinn der psychoanalytischen Lehre Beispiele für die Bedeutung des menschlichen Strebens nach Anerkennung gesammelt. Zum anderen geht es um die Bestimmung von Bewusstsein, Identität, Ego/Ich, ihrer Verbindung und dem damit verknüpften Selbsterhaltungs- bzw. Machtstreben. Kondylis entdeckt notwendige Ergänzungen bzw. Schwächen des Freudschen Modells, die er in einer späteren Notiz 4511, nach den hier ausgewählten, nochmals anspricht: »4511** Die Verkennung des Machtstrebens führt Freud zu einer völlig erzwungenen dualen Klassifizierung der Triebe. Wenn er den Begriff der Macht und die Mechanismen des Machtstrebens studiert hätte, würde er nicht die Aggression ausschließlich mit der Destruktion und dem Todestrieb, noch würde er auf der anderen Seite den Selbsterhaltungstrieb mit dem Eros identifizieren. Der Selbsterhaltungstrieb kann Aggression auslösen, aber auch umgekehrt kann die Aggressivität sich veredeln und in den Dienst der Kultur stellen – auch als Herrschaft.«

Die Zweiteilung der Triebe in Eros und Tanatos bei Freud führt Kondylis also auf eine zu geringe Beachtung des Machtstrebens, dem weiterentwickelten Selbsterhaltungsstreben (4364) zurück. Deshalb darf Aggression unter den Bedingungen der Vergesellung nicht mit Destruktion gleichgesetzt werden, denn in der Konkurrenz mit anderen ist sie aus dem Machtstreben z.B. Antrieb zu Kulturleistungen, die als dem Allgemeininteresse dienlich ausgegeben werden. (vgl. P.K., Machtfragen, Darmstadt 2006, S.59)

Je nach ihrer Bedeutung kennzeichnete Kondylis die Notizen mit bis zu vier Asterisken. Oft verweist diese Auszeichnung auf eine Zusammenfassung vorangehender Notate; in anderen Fällen hebt ein Asterikus einen einzelnen Gedanken oder Begriff mit Leitfunktion heraus.

Eine weitere Kommentierung der Notate erfolgt an deren Ende nach 4411.

(4364) Das Selbsterhaltungsstreben sorgt für die Triebbefriedigung oder hierarchisiert diese Befriedigung, wenn eine unmittelbare Triebbefriedigung nicht möglich ist. Weil eine solche Hierarchisierung notwendig wird, wenn es viele Triebe sind und sie sich zusätzlich untereinander verflechten, kommt das Selbsterhaltungsstreben beim Menschen nicht ohne eine Instanz aus, wie sie das Ich aufgrund seiner Fähigkeit zur sozialen Orientierung bildet – und das bedeutet: das Selbsterhaltungsstreben reicht nicht aus, wenn es nicht durch Machtstreben erweitert wird.

(4365) Damit Lust in Macht verwandelt bzw. Macht als höhere Lust betrachtet wird, muss zwischen Lustprinzip und Lustaffekt unterschieden werden. Die Unterscheidung wird durch Durchsetzung des Realitätsprinzips und die Aktivität des Ego vollendet, die Lustaffekte im Hinblick auf eine neue, ›höhere‹ Deutung des Lustprinzips opfern kann.

(4366) Wenn jemand nicht bereit ist, das Werturteil der anderen anzunehmen, kann er ein Kompetenzproblem oder Vorurteile der anderen unterstellen: Jemand hat nicht die Befähigung mich zu kritisieren oder ist gegen mich voreingenommen.

(4367) an aspect of self will be more resistant to change when S believes that there is consensus among significant other persons concerning that aspect (107) C. Bacman- P. Secord- J. Peirce, Resistance to Change in the Self-Concept as a Function of Consensus among Significant Others, Sociometry 26 (1963), 102-111

(4368) Feindschaft
Die natürliche Reaktion gegenüber Fremdheit ist entweder Vermeidung oder Aversion. In beiden Fällen handelt es sich nicht um Feindschaft – bzw. Fremdheit genügt nicht, um Feindschaft hervorzubringen (davon abgesehen, entsteht Feindschaft in ähnlicher Weise auch bei Personen, die sich lieben). Die Feindschaft ist eine positive Beziehung, sie entsteht durch ein Handeln, bei dem meine Identität radikal in Frage gestellt wird (oder vor allem ›etwas‹, mit dem ich meine Identität verbinde.)

(4369) So wie wir mit unserer Phantasie ein ideales Ich bauen können, können wir mit der gleichen Phantasie eine Welt aufbauen, die dieses Ich befriedigt – in dem Fall, wo die erste Schöpfung der Phantasie, das ideale Ich, hart auf die Realitäten stößt.

(4370) Nützlich ist die Unterscheidung zwischen ego und persona. Dasselbe ego kann mehrere personae haben, doch wird es auch entsprechend der persona verlegt, verrückt, verschoben, die es jeweils entsprechend seiner Annahme zeigt, was die anderen über den Abstand zwischen ego und persona usw. wissen. Das persönliche Leben wird zum Kaleidoskop. Im Schnitt aller Brechungen befindet sich Selbsterhaltung als Anerkennung.

(4371) Die Beziehung zwischen Subjekten ist ein Aushandeln ihrer Identitäten. Wenn es nicht möglich ist, dass das eine vollständig das Selbstverständnis des anderen annimmt (weil die Übernahme einer Werteskala gefährlich für die eigene Identität sein würde), dann wird untersucht – weil die Bewahrung der Beziehungen als vorteilhafter betrachtet wird – welche Punkte ausgelöscht – ignoriert und welche sich beiderseits verändern werden (sei es dauerhaft, sei es ad hoc, also im Hinblick auf diese Beziehung, obwohl sie bei einer anderen aktiv bestehen bleiben können). Selbst wenn ein Gleichgewicht erreicht wird, ist es möglich auf der Basis wohlerworbener Positionen eine Wiedereroberung des Territoriums zu unternehmen, das zu Beginn verschenkt wurde. So wird in einem nachfolgenden Stadium der Konflikt geboren, der zu Beginn vermieden wurde.

(4372 **) Wenn wir erklären, wir schätzten die anderen entsprechend dem ein, wie sie unser Selbstverständnis beurteilen, meinen wir nicht, unser Selbstverständnis bleibe starr und verlange von den anderen ein alles oder nichts. Unter der Bedingung, Anerkennung zu erreichen, ist mancher bereit, nicht nur seine wahrnehmbare Identität zu ändern, sondern sein eigenes Selbstverständnis. Das Verweigern von Anerkennung bewirkt Verhärtung – und umgekehrt. Es handelt sich um ein unendliches Spiel. Die Identität als Inhalt wird Objekt vorsichtiger Verhandlung mit dem Ziel, Anerkennung zu erreichen bzw. Identität als Selbstgefühl zu bestätigen. Diese beiden Elemente der Identität befinden sich in veränderbaren Beziehungen.

(4373) Wir müssen uns von den einfachen Auffassungen über den Begriff der Anerkennung befreien, die oft als Angeberei verstanden wird usw. Alles andere als das. Beim Aufstellen der Szenerie der Anerkennung stellt jede Person ihre ganze Welt auf, bzw. die für sie jeweils relevanten Instanzen, die entschieden nicht die sind, die Angeberei begünstigen. Auch weisen diejenigen Existenzen, die Prüfungen fürchten, Anerkennung zurück, sie propagieren Demut usw. – tatsächlich verstecken sie das Selbstgeltungsbedürfnis so gut, dass man es nicht finden kann, um es anzugreifen.

(4374) Der Anerkennungstrieb steht etwas getrennt vom Selbsterhaltungstrieb. Doch verbindet er sich mit allen Teilhandlungen – und gerade deswegen kann er sich mit den unterschiedlichsten Inhalten, Haltungen und Meinungsäußerungen (aufeinanderfolgend, aber auch gleichzeitig) verbinden.

(4375) Es existiert kein von den anderen Trieben getrennter Selbsterhaltungstrieb, bzw. neben dem Geschlechtstrieb, dem Nahrungstrieb usw. Richtig ist es, über ein Selbsterhaltungsbestreben zu sprechen, das durch Erfüllung befriedigt wird, sei es durch Triebe an sich, sei es durch ihre kulturell bedingten Metamorphosen. Und umgekehrt, wenn der Organismus sich verteidigt, dann nicht, weil all seine Systeme zugleich bedroht werden, sondern er reagiert, um sich vor einem Reiz zu schützen. Aber der Teil, mit dem er reagiert, tut es stellvertretend für das Ganze.

(4376) Von Personen mit law self-appraisal wird Lob zurückgewiesen, damit sie nicht zu den Leistungen verpflichtet sind, die dem Lob entsprechen würden. Accepting praise from other implies that one expects to participate effectively in difficult activities; accepting censure from others implies that one expects to participate ineffectively in difficult activities… the more a person is committed to a low self-appraisal, the less important are these consequences for his evaluative reactions to others. If a person has made no commitment to a low self-appraisal, then accepting praise or rejecting censure from another person implies choosing a level of performance beyond his capabilities with the hazard of experiencing failure. Derjenige, der is committed to a low self-appraisal wird gerade von diesen Konsequenzen befreit (442).
S. Jones – C. Ratner, Commitment to Self-Appraisal and Interpersonal Evaluations, Journal of Personality and Social Psychology 6 (1967), 442-447

(4377) Die Freundschaft wird erschüttert, wenn die Anerkennung sich verringert, was daran erkennbar ist, dass die Menschen jemanden sympathischer finden, der ihnen Anerkennung zeigt, als einen, der sie ihnen verweigert. So wie Aronson-Linder sagen: the feeling of gain or loss is extremely important – specifically, a gain in esteem in a more potent reward than invariant esteem, and the loss of esteem is a more potent »punishment« than invariant negative esteem. If (others) O’s behavior toward P was initially negative but gradually became more positive, P would like O more than he would had O’s behavior been uniformly positive ... Wir mögen letztlich jemanden viel mehr, dessen Verhalten uns gegenüber zu Beginn negativ war (156f.).
E. Aronson- D. Linder, Gain and Loss of Esteem as Determinants of Interpersonal Attractiveness, Journal of Experimental Social Psychology 1 (1965), 156-171

(4378) Personen mit einer negativen Selbsteinschätzung einer ihrer Fähigkeiten nehmen wohlwollend negative Kritiken an, wenn eine Prüfung bevorsteht, während sie, wenn eine solche nicht ansteht, positiv auf gute Kritiken reagieren. (278)
S. Jones-H. Pines, Self-Revealing Events and Interpersonal Evaluations, Journal of Personality and Social Psychology 8 (1968), 277-281

(4379) Grundlegende späte Texte von Freud über die Identität Neue Vorlesungen – Abriss. Im Abriss wird gesagt, Teile der Identität werden ins Ego aufgenommen, während sie in Vorbewusstes übergehen.

(4380) Im Abriß sagt Freud, dass the power of the Id expresses the true purpose of the individual organism’s life. Bzw: in der Identität müssen einfache Mechanismen der Selbsterhaltung gefunden werden.

(4381) Grundlegende Kennzeichen der Erscheinung der Id im Ego oder des primären Prozesses im sekundären zeigen, wie das Selbsterhaltungsstreben die rationale Aktivität des Ich durchtränkt. Es gibt Kennzeichen des primären Prozesses, die für die Zwecke des Ego gebraucht werden, z.B. die displacement [Verdrängung] as a mechanism of defense (A. Freud). Charakteristisch ist ebenfalls die overdetermination der Symbole, besonders wenn sie sich auf ein Verhalten dicht am primären Prozess beziehen. Dieser hat die Tendenz, ein einziges Symbol mit einer Vielzahl von Bezügen aufzuladen, und so deckt er zugleich mehrere emotionale Bedürfnisse. So verstehen wir den Übergang zur Interpretationsfrage als Machtfrage.

(4382) Wenn wir den Begriff des Kontinuums ernst nehmen, dann the strict distinction between impulses, mental processes, ideas, and thoughts becomes artificial…. aus der Sicht des Kontinuums it becomes a matter of semantics whether we speak of contents, ideas, or thoughts…. It is evident that thought processes organized according to the primary process cannot be restricted to the structure id, but must also be used by the ego (112). The assumption that thought processes organized according to the primary process must also take place in the ego is implicit in every discussion of primitive wishes, fantasies and defenses (113) the most primitive thought processes underlying the concept »wish« are exclusively organized according to the primary process. (114) Schur, Identity

(4383) Die Einheit der Bereiche von Identität und Ego werden offensichtlich, wenn die Identität nicht einfach als undifferenzierte Energie gesehen wird, sondern in ihrer inneren Differenzierung bei der Gestaltung der Wünsche und der Erschaffung von Symbolen. Nur bei einer differenzierten Identität können wir zu einem Ego übergehen.

(4384) Es besteht kein Grund, die Id nicht bereits als Selbsterhaltungsstruktur zu charakterisieren. Sie hat die grundlegenden Kennzeichen: sie schafft als ersten psychischen Akt differenziert Wünsche und ebenso elementare Abwehrmechanismen. Libido und Aggression sind einfach zwei komplementäre Aspekte des Selbsterhaltungsstrebens: du hast 1) Wünsche und du hast 2) Aggression zum Teil als Triebkraft der Wünsche, Wunsch der Aneignung – der Verwendung und zum Teil als Mittel zur Verteidigung des Wunschobjektes bzw. als Verteidigungsmittel.

(4385) We must view the primary process, too, as a continuum. The mental functions organized according to the primary process, range, therefore, from the most primitive elements that we attribute to the id, based chiefly on primitive perceptions and memory traces, to such relatively complex processes as fantasies…This is in accordance with the new generally accepted assumption that we can detect elements of all three structures of the mental apparatus in most manifestations of mental life (This applies, of course, to the phase in which the structures ego and superego…have already developed.) Schur, Id, 114

(4386) the memory trace of the perception of need gratification is the matrix of the development of a wish. It is difficult to conceptualize the mental representation of the early gratification originally triggered by libidinal demands…the aggressive drive is also subject to regulation by the unpleasure and pleasure principles…we hardly ever see manifestations of the aggressive drive in its pure state. Its discharge is mostly combined with a discharge of the libidinal drive. Schur, Id, 121
The development of hate is itself the result of a complex development (object development), and only the drive aspect – which is again more »amorphous« – can be ascribed to the id (122)

(4387) Notwendigkeit der Selbsterhaltung:
Das Lustprinzip könnte nicht abgeschwächt oder durch etwas gezähmt werden, wenn es nichts Stärkeres als dieses selbst gäbe. Etwas, das stärker ist, zwingt den psychischen Mechanismus dazu, sich zu differenzieren, indem er neben der Identität auch ein ego als Anpassungsorgan erwirbt – aber einer aktiven Anpassung. Wenn jedoch Id und Ego von einer vorhergehenden Einheit unterschieden werden, wobei die Id selbst strukturiert dargestellt wird, dann muss in der vorhergehenden Einheit der Selbsterhaltungstrieb herrschen, obwohl dieser anfänglich mit dem Lustprinzip verknüpft ist, und sicherlich würde er sich »wünschen« für immer damit verbunden zu bleiben. Doch er hat die Möglichkeit, sich von ihm zu unterscheiden, das Lustprinzip unterzuordnen oder zu relativieren.

(4388) Schur, The Id, 128ff.
Freud stützt in vielen seiner Formulierungen das Lust-Unlust-Prinzip auf das princip of stability to Fechner: Lust ist das Verbleiben in der stability dank der Vermeidung unangenehmer Reize, Senken der Spannung, Unlust das Gegenteil, also accumulation of tension, dann ensteht the necessity to withdraw from extensive stimulation. Auf jeden Fall notierte Freud a difference in the effectiveness of the protective barrier gegen innere und äußere Reize. Doch besonders die Entwicklung des Menschen führt zur (Teil-) Befreiung von der Abhängigkeit von äußeren Reizen (vom Instinkt zum Trieb!). Von dem Moment an, wo aus ihrer Erinnerung Wünsche entstehen und zugleich der Wunsch zur Wiederholung von Reizen, kann die Interpretation von Freud über das Lust-Unlust-Prinzip keinen Bestand haben. Das unpleasure principle regulates gewiss the withdrawel response, aber das Lust-Prinzip, das zum Leben gehört und gleichermaßen notwendig ist, regulates genau das Gegenteil, also the approach response. Das Stabilitätsmodell von Freud gilt so nur für das Unlust-Prinzip, welches das primitivste ist, während das Lust-Prinzip regulates the need to re-create by action or by fantasy any situation which has created the experience of satisfaction. In seinen Spätschriften bestimmt Freud das Nirwana-Prinzip Todestrieb aufgrund des Konstanzprinzip[s], und stellt es dem Eros gegenüber, als Prinzip der Bewegung und des Lebens. Der erste jedoch kann kein Trieb sein, weil the need to withdraw from the source of pain and danger has not achieved in the course of evolution the degree of internalization which is the basis for an instinctual drive. There is no motivational force to seek an object in order to withdraw from it. Andererseits geht der Wiederholungszwang, den Freud für den Todestrieb annimmt, nicht mit ihm, sondern mit dem Lustprinzip zusammen: Die Wiederholung zielt auf eine nachprüfende Vernichtung einer traumatisierten Situation ab, diese entsteht also wieder, damit ihr dieses Mal richtig begegnet wird. The ego’s unconscious wish to undo the traumatic situation cannot be satisfied without reliving the latter in endless variation.

(4389) Die Phantasie hat zwei grundlegend verschiedene, aber im Gesamtbereich des Menschlichen komplementäre Funktionen: a) Das Leben antizipierend zu gestalten b) Mängel zu kompensieren: Indem hier die Phantasie zum Extremen hin gereizt wird, kann sie lebensfeindlich werden.

(4390) Der Narzissmus richtet sich an alle, und wenn es keine anderen gibt, lebt er von sich selbst, dagegen hat der »Aggressionstrieb« keinen ständigen und uniformen Ausdruck, sondern erscheint als Reaktion gegen Widerstände. Dies ist der Vorzug des Narzissmus gegenüber jeder Art von Aggression. Es gibt keine Aggression ohne die vorherige Gefahrenvermutung (unabhängig davon, wie groß die Gefahr eingeschätzt wird, ist dies die Funktion der Weite des Selbstverständnisses.)

(4391**) Zusammenhang zwischen der Frühgeburt des Menschen, seiner Hilflosigkeit und dem zusätzlichen Bedürfnis geliebt zu werden – ein Bedürfnis, das sich schnell in Narzissmus und Machtstreben verwandelt. Dieser Zusammenhang, der zu den Folgerungen von Bolk und Portmann (Fötalisierung) passt, drückt schon Freud 1926 aus: Hemmung, Symptom und Angst, GW, XIV, 186f.

(4393) Ich
Wenn jemand als Person eine bestimmte Eigenschaft ständig haben will, dann soll er mit Leuten verkehren, die ihn höher schätzen oder die er beeindruckt, wenn er als Träger dieser Eigenschaft erscheint.

(4394) Das ego bleibt unklar und unbekannt. Seine Umrisse werden fiktiv gegeben, in klar definierten Wörtern oder in Augenblicken des Gleichgewichts mit der Umgebung und anderen – Augenblicke, die nicht notwendig dem tieferen Wesen entsprechen: Das Gleichgewicht und die Zufriedenheit entsprechen nicht der Selbsterkenntnis, sondern der Erwiderung unserer Gefühle mit dem Bild vom Ego, das in solchen Augenblicken auftaucht. Dem Wesen nach bleibt die genannte Selbsterkenntnis gleich, die einige offenbar erreichen. Hier trifft das Bild vom Ego mit unseren Gefühlen zusammen, und dies schafft eine ungestörte Einheit; weil sie ungestört ist, ist klar, dass sie keinen unbekannten Faktor enthält. Die Tatsache aber, dass die bekannten Faktoren ins Gleichgewicht gekommen sind (sei es gefühlsmäßig im Bild von unserem Ego, sei es zwischen diesen beiden) bedeutet nicht, dass nicht doch Unbekannte vorhanden sind.

(4395) Das Ich verlangt, alles als zu seiner Sphäre gehörend darzustellen: Die Erkenntnis über etwas außer dem Ich wird als Machtelement des Ich dargestellt, die Erwachsenen sprechen wie Vertreter überindividueller Ideen, die Frauen zeigen sich als verstärkende Elemente ihres Ego die Schönheit der Kinder und ihrer Hunde Nietzsche, II, 185
Das Ich und seine Herrschaft über die Vergangenheit, so wie diese in der sprachlichen Form des Perfekts ausgedrückt wird. ibid. 184

(4396) Siehe die Bemerkungen von H. Hesse (Steppenwolf, 64ff) über die Nichtexistenz eines einheitlichen Ich. – Es soll bemerkt werden, dass dann, wenn es viele Pole des psychischen Lebens gibt, einer versucht sich gegen die anderen durchzusetzen und sie unter seine Herrschaft zu bringen. Dies muss entweder zu einer Verstümmelung oder zu einer Spaltung führen. Gewöhnlich ist der herrschende Pol der, den die andern, die Gesellschaft sehen oder uns auferlegen, dessen Anerkennung wir wollen.

(4397) Ursprung des Bewusstseins **
Bedürfnis der Mitteilung des schwachen und gefährdeten Tieres. (Zugleich entsteht daher die Sprache.) Deswegen der Herden-Instinkt im Bewusstsein am stärksten. D.h.: das Bew. zerstört das Individuelle, stellt das Durchschnittlich-Menschliche in den Vordergrund. Seine Welt verflachte Zeichen-Welt. Nietzsche, Fröh. Wiss., Nr. 354
Nietzsche schätzt Leibniz für seine Sichtweisen über das Bewusstsein: das B. als nur ein Zustand unserer seelischen Welt. (ibid. Nr. 357)

(4399) Der Trieb ist eine einheitliche Energie, ein Strom von Energie und Dynamik. Seine jeweilige Kanalisierung unterscheidet ihn von anderen in der Art und Weise, Formen anzunehmen und als das eine oder das andere zu erscheinen (welches ist der erste Trieb? Der Wille? Selbsterhaltung? Herrschaft? – all das ist das Gleiche.) Er selbst existiert jenseits von gut und böse und nur die Etikettierung entsprechend dieser Begriffe gibt ihm das entsprechende Bild, so wie er auch seinem Träger das Gefühl der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit gibt (Anerkennung oder Missbilligung.) Der Trieb selbst ist all diesen Fällen unterworfen, er erscheint manchmal als Aggressivität, manchmal als Moral.

(4400) Ich
Inwiefern gleicht das Ich eines Zehnjährigen einem fünfzigjährigen Menschen? Hat es sich vollkommen geändert, wie bei einem Schiff, bei dem nach und nach ein Teil nach dem andern ersetzt wird und das am Schluss nur noch den Namen behält – dann ist es das Gleiche nur deshalb, weil es die andern als das Gleiche ansehen? Wenn die Gesellschaft ein Individuum nicht als identisch mit seinem Ich über die Zeiten hin annimmt, würde es dann das gleiche Bewusstsein seiner Identität haben? Bzw: wenn der Fünfzigjährige sein zehnjähriges Selbst sehen würde, in welchem Grade würde O‘ [er] ein beständiges Ego wiedererkennen? Und mehr noch: wenn ich mein jetziges Selbst sehen könnte, wie es sich bewegt und verhält, würde ich es wiedererkennen, wenn ich es nicht im Spiegel gesehen hätte? Denn manchmal scheint die Vergangenheit wie ein Traum; wie also steht es um den Wahrheitsgrad bei der Erinnerung vergangener Erlebnisse? Erlaubt etwa der Mangel eines festen Ego nichts anderes als zerstreute, vermischte Haltungen aus der Vergangenheit? Inwiefern ist die Vergangenheit als organisierte Lebensgeschichte notwendig Fiktion, die wir für die Gegenwart brauchen?

(4401) Ich
Auch wenn seine Existenz als Verknüpfung und belehrender, unterweisender Webeinschuss angenommen wird, zwingt uns das nicht, es für Vernunft = Denken zu halten. Vielleicht – wenigstens entsprechend den formgestalterischen Bedürfnissen unserer Überlegungen – müssen wir annehmen, dass zwischen etwas [Vorstellungen] oder in Beziehung zu etwas [ihnen] ein Darstellungszusammenhang hergestellt werden kann. Aber wir können im Metaphorischen bleibend, uns dieses Medium als einen dunklen Schatten, der hinter den Vorstellungen steht, vorstellen oder als eine Menge Wasser, die immer gleich bleibt und dennoch die Form des jeweiligen Behälters annimmt und sich in ihm befindet und bewegt – ein kleines Perpetuum mobile – die Teilchen – die Vorstellungen.

(4402) Wenn wir hier über Identität usw. sprechen, können wir keine bestimmte Bewusstseinstheorie annehmen, sondern beziehen uns auf das Bewusstsein der Subjekte, eine Identität zu besitzen und sich bei ihrem Handeln darauf zu beziehen, ohne uns dafür zu interessieren, ob die Identität fiktiv ist oder nicht. Entscheidend ist, dass auch dann, wenn sie Fiktion ist, die Selbsterhaltung die Fiktion notwendig macht.

(4403) Ich – Entscheidung
Hume sagt, der Eindruck des einheitlichen Ego sei auf optische Täuschung zurückzuführen, wir also, obwohl wir die Idee der Identität von der Idee der Vielfalt (diversity) logisch unterscheiden, sie in der Praxis aber durcheinanderbringen: Wenn sich die Glieder der diversity mit relations verbinden, gibt es einen glatten Übergang vom einen zum andern, wobei der täuschende Eindruck der Einheit entsteht, die wir nachträglich durch fictions wie soul, self, substance bestätigen.. – Die Interpretation dieser Verwirrung ist eher oberflächlich: denn wenn die Reihenfolge der Eindrücke nicht nur related objects enthält, die einen glatten Übergang sichern, sondern auch zueinander gegensätzliche Eindrücke, wie hängt dann das Gefühl der persönlichen Identität vom Inhalt der Eindrücke ab? Die Erfahrung zeigt, dass dieses Gefühl nicht darunter leidet, auch wenn die nacheinander folgenden Eindrücke völlig gegensätzlich sind. Wenn nicht dies Gefühl, was sonst hält die getrennten Vorstellungen zusammen? Nicht ein vernünftiges Ego, sondern ein tieferer Instinkt, der die Selbsterhaltung verlangt. Die Selbsterhaltung ist schwach oder wenigstens schwieriger ohne Zusammenhang der Eindrücke. Die Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit der Eindrücke an sich ist sekundär oder auch unbedeutend, vielmehr wird der Zusammenhang von diesem Instinkt erfunden oder durchgesetzt.

(4404) Dezisionismus
Drei Theorien über das Ego:
a) ununterbrochen wechselnde Vorstellungen,
b) relativ stabile Vorstellungen, von einem vernünftigen Ego beobachtet,
c) Vorstellungen, die bezogen auf die Basis und den Hintergrund des Selbsterhaltungstriebes, den Machttrieb verändern.

(4405) Müssen wir uns das Ich als Hierarchie vorstellen, bei der eine Instanz über den anderen steht und sie diszipliniert? Oder ist das Ich etwa – als verbindender Name, flatus vocis – nur das Kollektiv seiner Komponenten, die untereinander kämpfen und verschiedene Gleichgewichte mit den jeweils verschiedenen Herrschern finden?

(4406) Dezisionismus
Über das Problem des Ich
Es ist für den Entscheidungsvorgang gleichgültig, ob das Ich mächtig oder schwach ist: Beide Ichs benötigen Fiktionen und das Als Ob. Das starke Ich fordert die Welt durch die Fülle seiner Kräfte heraus, das schwache benötigt das Als Ob als Dach und Schutz. Dies erscheint negativ im Vergleich von Kant mit Nietzsche: Ihre Meinungen über das Ich unterscheiden sich grundlegend, aber der Fiktionalismus bringt sie näher zusammen (Beeinträchtigung von Nietzsche durch Lang!)

(4407) Es ist keineswegs ausgemacht, daß Selbsterhaltung und -steigerung erst auf der Grundlage wahrer Selbsterkenntnis erfolgreich sein kann. Dass der Egoismus und die Tendenz zur Dominanz treibende Kräfte sind, bedeutet nicht, jeder Mensch habe das Bewusstsein seines Ego, also Selbsterkenntnis. Gewöhnlich kämpft er nicht für die Durchsetzung des Ego der Selbsterkenntnis, sondern für ein Ego, das die anderen (Menschen) (auch) mehr oder weniger auf seine Rechnung geschaffen haben und das dieser adoptiert und für das er kämpft. Aufgrund seiner ursprünglichen Verbindung mit den Meinungen anderer benötigt dieses Ego die Anerkennung (die wirkliche Selbsterkenntnis, wenn sie überhaupt möglich wäre, zeigt sich wahrscheinlich viel weniger als Motiv zum Handeln!) Die Fiktion, dass die Persönlichkeit kein eigenes Licht habe, schwächt nicht den Kampf um Anerkennung – im Gegenteil.

(4408) Man könnte sogar weitergehen und sagen: Das Bedürfnis des Ich, sich immer hinter einer Entscheidung zu verschanzen, ist nicht auf seinen kristallklaren festen Charakter und seine Kraft zurückzuführen, die es von ihm bekommt – sondern von seinem davon abgelösten Charakter und seiner in ständigem Konflikt befindlichen Natur, die ihm mit Vernichtung droht, wenn es keine Gleichgewichte findet, die ihm erlauben schlagkräftig zu sein.

(4409 **) Die Grundlagen und die grundlegenden Kennzeichen der Moral* schon im Verhalten des Tieres. Nietzsche, II, 31f.
*(Verbergen und Erhalten der vertrauten Kräfte, mit dem Ziel der später besseren Nutzung für den Kampf. Frieden und Einstellung. Anpassung an die Umwelt. Untersuchung der Gewohnheiten des anderen und das Bild des Selbst entsprechend den Reaktionen des anderen.)

(4410) Wir verstehen unser Selbst entsprechend Merkmal und Rahmen der Gegebenheiten, für die es Wörter gibt: Wir machen es uns schwer und beobachten nicht das Unaussprechbare: Auch die unendlichen Schwankungen der im Groben bekannten Gefühle (Trauer, Freude, Zorn usw.) fügen sich der Abstraktion des Wortes, das sie symbolisiert, und so verlieren sie ihr spezielles Gewicht, die spezielle, bestimmende Struktur für ihr Verhalten. Wir sind alle nicht das, als was wir nach den Zuständen erscheinen, für die wir allein Bewusstsein und Worte – und folglich Lob und Tadel – haben; wir verkennen uns nach diesen gröberen Ausbrüchen, die uns allein bekannt werden.., wir verlesen uns in dieser scheinbar deutlichsten Buchstabenschrift unseres Selbst. Unsere Meinung über uns aber, die wir auf diesem falschen Wege gefunden haben, das sogenannte »Ich«, arbeitet fürderhin mit an unserem Charakter und Schicksal. Nietzsche, II, 90

(4411) Dass Smith die Moral für künstlich hält, wird erkennbar in der Art, wie er die Entstehung des Bewusstseins beschreibt (sein Problem ist aber nur genetisch). Das Bewusstsein ist also die Verinnerlichung der sozialen Maßstäbe. Das Subjekt wünscht die Billigung der anderen und verhält sich entsprechend, indem es in seiner inneren Welt das Spiel des »spektators« spielt, der das Handeln der anderen beobachtet. Auch wenn das Bewusstsein letztlich selbständig wird und als »demigod« erscheint, hat es dennoch seine Herkunft und sein Wesen. Es ist notwendig für den sozial lebenden Menschen: Es weist die Selbstsucht zurück, die ihre Berücksichtigung ohne Rücksicht auf Andere anstrebt. Bewusstsein ist weder des Gottes noch des Logos innere Stimme. S. Theory Mor. Sent. II, II, 2; III,3; III,1; III, 2

Weiterer Kommentar:

Die erste Korrektur des psychoanalytischen Modells besteht, wie gesagt, darin, das Lustprinzip nicht als ein fest an den Selbsterhaltungstrieb geknüpftes Reaktionsschema zu sehen, sondern die Bindung an das Machtstreben zu berücksichtigen. Eine weitere Korrektur der Freudschen Bestimmung des Lustprinzips wird in 4388 vorgenommen: Das Stabilitätsmodell Freuds könne nur für das Unlustprinzip, nicht aber für das Lustprinzip gelten.

Mit dem Machtstreben verbunden, das zeigt eine Reihe von Beispielen, ist das Bedürfnis nach Anerkennung, Geltung. Die Notizen dazu beginnen mit 4366, darauf beziehen sich 4367f, 4370-4374 und 4372** liefern eine vorläufige Zusammenfassung. Der Wunsch nach Anerkennung beseelt auch diejenigen, die sie aufgrund eines geringen Selbstvertrauens zurückweisen (4376, 4378). Auch wird die Bedeutung dieses Bedürfnisses für die Freundschaft (4377), die Feindschaft (4368,4384,4391), die Phantasie (4369, 4389) und die Unterscheidung von ego und persona (4370) betrachtet. Diese Überlegung kehrt in 4411 bei der Beobachtung des Phänomens der Verinnerlichung moralischer Gebote wieder; die These, die Einhaltung ethischer Prinzipien habe mit dem Anerkennungsbedürfnis zu tun, wird von Smith bestätigt.

4411 verweist auch auf die Entstehung des Bewusstseins aus dem sozialen Miteinander: Das Individuum müsse sein Handeln in der Wirkung auf die anderen beurteilen, deren Akzeptanz das soziale Wesen benötigt. In diesem Sinn wird 4397 besser verständlich. Bewusstsein und Ich/Ego haben die soziale Orientierung gemeinsam, Identität und Ego sind »Anpassungsorgane« (4387), wobei die Identität ein mehr passives und das Ego ein aktives Anpassungsorgan ist. Als Instanz zur sozialen Orientierung (4364,4400,4401) verfügt das Ich über Machtsreben, es ist Träger des Realitätsprinzips bei Freud und Kondylis, und bei diesem dem Machtprinzip zugeordnet. Bei Freud (4379) findet Kondylis den Hinweis der engen Verbindung von Identität und Ego; und aus Freuds Beobachtung (4380) folgert Kondylis, dass in der Identität bereits einfache Mechanismen der Selbsterhaltung enthalten sind. Selbsterhaltungsstreben sei auch in der »rationalen Aktivität« des Ego (4381) enthalten. Doch wird diese rationale Seite des Ich an anderer Stelle (4401) relativiert. Die Verknüpfungen zwischen Vorstellungen seien nicht unbedingt durch Vernunft bestimmt. (Die Verknüpfung der Vorstellungen reicht bis ins Biopsychische und bleibt deshalb wie die Grundentscheidung teilweise rätselhaft, vgl. P.K., Machtfragen S.34)

Mit 4379f wird deutlich, dass Kondylis die Beobachtungen und Ergebnisse des Erfahrungswissenschaftlers Freud als zuverlässigen Ausgangspunkt nimmt, aber stets nachprüft, ob bei deren Auswertung etwas übersehen sein könnte, – wie etwa die Folgerung, dass bereits »in der Identität einfache Mechanismen der Selbsterhaltung gefunden« werden können. Diese Prüfung hat dann Folgen für das aus der Beobachtung abgeleitete Modell.

Die Identität bedient sich bei der erforderlichen Anpassung an die Forderungen von außen (4369) auch der Täuschung, wenn der Konflikt mit der Umgebung vermieden werden soll. Auch das Ich braucht die Täuschung, das Fiktive (4400,4401), es unterstellt nur eine gleichbleibende Identität. Um der Selbsterhaltung willen ist diese Unterstellung notwendig (4402,4406-4410). Nur in der Überzeugung, eine gleichbleibende Identität zu besitzen, kann das Individuum für seine Selbsterhaltung entschlossen eintreten. Das Selbsterhaltungsstreben ist es, das diese Annahme stützt, über die Zeit hinweg eine unveränderte Identität, ein festes Ego zu haben. Kondylis bezweifelt die Existenz eines einheitlichen Ich (4400-4403), wobei er sich auf Hume berufen kann. Diese Belege für das Fiktionale, auf dem unser Sein aufruht, werden ergänzt durch eine zentrale Erkenntnis des ›deskriptiven Dezisionismus‹, dass jedes Individuum seinem – subjektiven – Weltbild Objektivität zuschreiben muss, weil es nur unter dieser Voraussetzung die zur Orientierung und zum Handeln nötige Sicherheit hat. Und von dieser Überzeugung der Objektivität lässt es sich auch nicht durch die Erfahrung abbringen, das andere Menschen andere Weltbilder haben, die sie ebenfalls für objektiv halten. (vgl. Machtfragen, S.58) So bestätigt die Auswertung der Forschungsergebnisse Freuds Kondylis in seinem anthropologischen Modell, das er in Macht und Entscheidung (hier zitiert nach Machtfragen) vorstellte.