Nelly Kroeger an Maud Levy, v. 13. Juni 1936
mitgeteilt von Steffen Dietzsch

Nelly Kroeger und ihr Lebensgefährte Heinrich Mann lernten Maud Levy zu Beginn ihrer Emigration im Jahre 1933 in Südfrankreich kennen. Maud begleitete oft ihren Vater, Dr. Oscar Levy, auf seinen Wegen durch die Landschaft Zarathustras. Das Diktum Nietzsches zur geistigen Selbstcharakteristik von sich und seinesgleichen – Wir sind Emigranten – hat keiner der Nietzsche-Interpreten der ersten Hälfte des XX. Jahrhunderts so vollkommen prägnant erfüllt wie Mauds Vater, der deutsche Jude Oscar Levy. Seit 1892 in England, 1921 Ausweisung als eines der former alien enemies, Zwischenaufenthalte in Deutschland, Frankreich und der Schweiz, 1933-1938 in Frankreich und dann bis zu seinem Tod 1946 wieder in England.

Maud erledigte von England aus diverse Aufgaben für ihren Vater, sie brachte vor allem nach 1933 u.a. Beiträge für die Exilzeitschrift Das Neue Tage-Buch in die Druckerei nach Amsterdam und sie bewerkstelligte finanzielle Transaktionen.
Als Oscar Levy einmal mit Heinrich Mann zusammentraf, 1934 in Bandol (bei Toulon), kommentierte Levy dessen Kompliment: »Sie haben eine sehr natürliche Tochter!« mit »Sie ist auch eine natürliche Tochter.« (Autobiography, S. 245) – Maud Levy war ihres Vaters »faithfull Daughter-Secretary.« (ibid., S. 260)


*

Text:

11, rue du Congrès [Nizza]
den 13. Juni 1936

Liebes Fräulein Maud,
Das war aber eine grosse Überraschung –
so einen schönen Brief habe ich lange
nicht erhalten. Ich danke Ihnen
herzlich. H. Mann ist sehr glücklich,
die Federn zu haben, er konnte schon
gar nicht mehr schreiben – u. das
ist doch schlimm für einen Schrift-
steller! Er ist so an diese Feder ge-
wöhnt u. hier können wir sie nicht
bekommen.
Viel Besuch ist momentan hier –
gestern hatten wir Dr. Landshoff und
Gattin – u. <die> zwei kleinsten Kinder (17 u 18
von Th. Mann, natürlich als Ehrengast
unsern Hausfreund! Morgen erwarten
wir Klaus u. Erika Mann mit Gatten.
Heute abend ist noch ein kleines
[verso]
Concert in der Universität. Mädi
Biby Mann veranstalten es ganz
allein. Haben die Kleinen nicht Mut?
Wie geht es Ihnen nun so? –
Wenn werden Sie kommen? Wir wis-
sen noch nicht genau – wohin
und wann wir fahren. Ausserdem
habe ich Umzug. Wir haben uns
entschlossen – entgültig diese so
arme kleine Wohnung zu verlassen.
Hoffentlich kommen Sie zur Einwei-
hung der neuen?? Das wäre sehr
nett.
Das Wetter ist hier gut. Die Mücken
sind recht fleissig. Im Übrigen ist
hier grosser Streit. Sonst geht die Welt
aber weiter.
Nochmals vielen Dank (die nächste
Sendung wird mit Freuden angenom-
men) und die herzlichsten Grüsse
und einen lieben Kuss
von Ihrer N. Kroeger

Auch an Familie
Toller freundliche Grüsse

[am linken Seitenrand der Rückseite:]

Heinr Mann lässt
vielmals grüssen u. dankt Ihnen sehr.
Sollen wir die Federn Herrn Dr. zahlen od. wie denken Sie?

 

*

Erläuterungen:

11, rue du Congrès: in Nizza an der Côte d’Azur; hier wohnte Heinrich Mann mit seiner Lebensgefährtin Nelly Kroeger seit Herbst 1933.

Fräulein Maud: Maud Levy (geb. 22. April 1909 in London), französisches Lyceeum in Mainz 1921/22, Studium der Kunstwissenschaft, Abschluss mit dem Licenciée ès lettres der Sorbonne 1934; nach dem Zweiten Weltkrieg in London Heirat mit dem 1933 emigrierten Sohn der Münchner Antiquariatsfirma Erwin Rosenthal (in der Brienner Str. 47), dem Buchhändler Albrecht – Albi – Rosenthal (geb. 1914), der dann in Oxford das heute europaweit bedeutenste Antiquariat für Musikautographen gründete.

H. Mann: Heinrich Mann (1871-1950), arbeitete hier in Nizza gerade an seinem Henri Quatre. Er lebte seit 22. Febr.1933 in Südfrankreich, 1940 flüchtete er in die USA.

Dr. Landshoff: Fritz H. Landshoff (1901-1988), bis 1933 Direktor des Gustav Kiepenheuer Verlages in Berlin, gründete 1933 die deutsche Abteilung im Querido Verlag Amsterdam, enger Freund von Erika u. Klaus Mann. Emigrierte 1940 nach N.Y.– Seine Frau: Eva Landshoff (1901-1979); die Landshoffs hatten zwei Kinder: Beate und Angelica.

zwei kleinsten Kinder: Elisabeth – Medi– Mann (1918-2002), verh. Borgese und Michael – Bibi – Mann (1919-1977).

Hausfreund: Oscar Levy (1867-1946). Klaus Mann schreibt am 8. Mai 1935 nach einem Besuch bei seinem Onkel Heinrich Mann in sein Tagebuch: »Ein Hausfreund da: Dr. St. [recte Oscar] Levy (Herausgeber der englischen Nietzsche-Ausgabe) [1909-1913 in 18 Bdn.].« Oscar Levy wohnte zu dieser Zeit in Cannes-La Bocca, in der Villa de l’Oasis. – Ansonsten trafen sich Oscar Levy und Heinrich Mann in Bandol, im Grand Hôtel Bandol.

Im Jahr zuvor besuchte, wie er in sein Tagebuch am 16. Mai 1935 notierte, Thomas Mann seinen Bruder Heinrich in der Rue du Congrès: »Der sympathische Dr. Levi [Levy] kam hinzu.«

Universität: das Centre Universitaire Méditerranéen an der Promenade des Anglais 65, das seit seiner Gründung 1933 von Paul Valéry geleitet wurde (bis 1941).

Erika Mann mit Gatten: Erika Mann (1905-1967) und Wystan H. Auden (1907-1973), ein Oxforder Lyriker. – Maud Levys Vater, Oscar Levy, schreibt über sie in seiner unveröffentlichten Autobiography: »The only ›Mann‹ in the Mann-family – according to a German joke – is Thomas Mann’s masculine daughter Erika.«

Umzug: die neue Wohnung in Nizza war: 18, rue Rossini.

N. Kroeger: Nelly Kroeger (1898-1944), sie war seit 9. September 1939 mit Heinrich Mann verheiratet.

Familie Toller: Ernst Toller (1893-1939, am 22. 5. Suicid), emigrierte 1933 nach London. Maud Levy war in dieser Zeit seine Privatsekretärin.

Herrn Dr.: Dr. med. Oscar Levy, promovierte 1891 an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg / Brsg. mit einer Arbeit Über Knochenabscesse; Mauds Vater.

 

Für die Erlaubnis. diesen Brief vorab zu veröffentlichen, bedanken wir uns sehr herzlich bei Maud Rosenthal [Boars Hill b. Oxford/Engl.].

 

Literatur

STEFFEN DIETZSCH: Ein Nomade in der Landschaft Zarathustras. Oscar Levy und der jüdische Nietzscheanismus, in: Nietzscheforschung, Bd. 10 (2003)

OSCAR LEVY: Autobiography, unveröff. Ms. im Besitz von Albi & Maud Rosenthal (Oxford)

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